Greta Elisa Hofers Leben

Über's Davor und Danach

Kult-Models aus Österreich gibt es nicht so viele, aber sie tauchen regelmäßig in der internationalen Modeszene auf. Wir denken an Cordula Reyer bei Helmut Lang, Helena Severin für Hedi Slimane, Werner Schreyer mit Hugo oder jetzt eben Greta Hofer und Prada. Die Tirolerin war nicht nur das weltweite Kampagnengesicht von Prada, sie steht auch für einen komplett in Vergessenheit geratenen Frauentyp im Zeitalter der übertrieben sexy sozialen Medien. Die androgyne Frau, die durch einen dem Mann vermeintlich zugeordneten Kurzhaarschnitt neue Dimensionen von Schönheit ausleuchtet, ganz im Sinne von Jean Seberg in Außer Atem, Jean-Luc Godards Film in den Sechzigern.

(Left) Dress JIL SANDER BY LUCIE AND LUKE MEIER. (Right) Sweater DRIES VAN NOTEN

Gretas Leben ist wie diese gesplitteten Fotos, zwei Mal dasselbe Gesicht nebeneinander, die die Verwandlung von Menschen zeigen – Gretas Leben ist aufgeteilt in ein Davor und ein Danach. Greta, bevor sie sich die Haare abrasiert hat und danach. Greta vor ihrem Umzug nach Wien und danach. Und zuletzt Greta, bevor sie das Gesicht von Prada wurde und danach. Die guten Zeiten, sie haben für Greta im Augenblick des Danach begonnen. Greta Elisa Hofer ist in Steinach am Brenner in Tirol aufgewachsen. Ein Dorf mit 3.337 Einwohnern. Greta hat im Idyll gelebt, zwei Minuten vom Wald entfernt, Skipiste und See direkt um die Ecke, eine Familie, die sie liebt und akzeptiert. Die perfekte kleine Welt: „Zum Aufwachsen war es wirklich toll.“ Aber diese Welt wurde schnell zu klein für Greta. In der Schule war sie eine Außenseiterin, eine die sich in der Ecke verkroch und nicht auffallen wollte. Greta hat viel Zeit allein verbracht. Und als sie sich dann vor vier Jahren mitten in der Nacht entschied, sich den Kopf zu rasieren, wurde der Gang durchs Dorf zum Spießrutenlauf: Menschen riefen ihr hinterher, dass sie ausschaue wie ein Junge oder man schon an ihrer Frisur sehen könne, dass sie lesbisch sei. Das dörfliche Idyll kann für Teenager:innen, die nur ein kleines bisschen anders sind, zu einer Hölle werden. Greta ist eine dieser Teenager:innen gewesen. Das ist das Davor.

Total look MARCO RIBEIRO

Body Y/PROJECT via Mytheresa.com; Pants MARNI

Gretas Danach beginnt mit diesem Satz: „Ich brauchte irgendwo anders Platz, um zu wachsen.“ Und sie ist gewachsen, so sehr, dass sie jetzt überlebensgroß auf Prada-Plakaten überall zu sehen ist. All das begann mit ihrem Umzug, Anfang 2020 mitten im ersten Lockdown zog Greta fürs Studium vom 3.000-Einwohner-Dorf in die Zwei-Millionen-Einwohner Stadt Wien. Zu Menschen, die, wie sie sagt, besser über Gefühle und Probleme sprechen konnten und zu ihrer Freundin Chiara. Die beiden haben sich eigentlich schon im Davor kennengelernt. Das erste Date fand in Innsbruck statt, nachdem Chiara Greta ein Jahr zu- vor bereits auf einem Schulball schöne Augen gemacht hat. Seit über einem Jahr leben die beiden nun in der gleichen Stadt. Aber nicht nur Greta als Mensch passte plötzlich besser in ihr neues Umfeld, sondern auch ihr Aussehen, für das sie im österreichischen Dorfidyll noch gehänselt wurde. Kurze Zeit nach ihrem Umzug wurde sie von einer Modelagentur entdeckt. Seitdem dreht sich Gretas Welt ein bisschen schneller: Wien, Barcelona, Paris. Greta hat mit einem Cover-Shooting für Vogue Italy, Laufstegjobs für Jil Sander, Christian Dior, Hermès und Chloé und letztlich als Gesicht der neuen Prada-Kampagne schon alles erreicht. Greta: „Mir war lange nicht bewusst, dass es so was Großes ist. Erst nach der Veröffentlichung der Kampagne habe ich verstanden, dass der Fokus auf mir lag – dass ich das Gesicht von Prada bin.“

Skirt ALEXANDER MCQUEEN

(Left) Sweater Y/PROJECT via Mytheresa.com. (Right) Jacket and hoodie CELINE

Gretas Geschichte mag wie die Geschichte eines klassischen Mauerblümchens klingen, das immer übersehen oder für ihr Aussehen gehänselt wurde, um dann entdeckt und von den großen Modemarken für genau dieses Anderssein gefeiert zu werden. Aber Greta wirkt nicht wie eine Frau, die auf den Applaus und die Bestätigung der Branche angewiesen ist. Und damit bröckelt die Erzählung des Mauerblümchens: Bevor Greta als Model entdeckt wurde, hat sie sich schon lange selbst gefunden.

Models:

Greta Hofer | SP-Models

Chiara Joos

Fotos: Anna Breit

Styling: Johanna Bouvier

Hair and Make-Up: Lydia Bredl

Styling assistant: Liam Pfefferkorn

This article appeared first in ACHTUNG Nr. 42 (Fall/Winter 2021).