Stoffsammlung: Deutschlands Influencer:innen

Simpel, durchschaubar, wenig überraschend.

Langsam hat man wirklich das Gefühl: Das ist alles kein Spaß mehr, da geht’s um jeden Zentimeter, um jede:n Follower:in, um eiserne Disziplin, biederen Fleiß, deutsche Wertarbeit. Genau, es geht um unsere Super-Influencerinnen Caro Daur und Leonie Hanne.

Damit wir uns nicht missverstehen: Die beiden sind wirklich nette Frauen, freundlich, aufgeräumt, schnell. Und wenn sich ein:e ACHTUNG-Mitarbeiter:in auch noch in die erste Reihe quetschen möchte, dann rücken sie wirklich ein bisschen zur Seite in ihren kurzen Kleidchen und lächeln dazu. Da sind sie evolutionsgeschichtlich weiter als viele Magazin-Redakteur:innen, die schon seit Jahrzehnten da sitzen wie festgetackert und diese ziemlich simple Kulturtechnik der Höflichkeit noch immer nicht beherrschen.

 

Caro Daur bei der Pariser Modewoche via Instagram @carodaur

Leonie Hanne via Instagram @leoniehanne

Sie sind also supernett, diese beiden. Aber was machen sie in der Modeszene? Dieses Rätsel haben wir noch immer nicht gelöst. Caro stellt mit Crop-Top ihren muskelgestählten Bauch zur Schau, als wäre das hier ein Fitnessstudio. Leonie ist stolz auf ihren Auftritt bei Georges Hobeika, als wäre das ein Designer. Caro macht ganz, ganz lustige Reels, und Leonie zeigt dauernd ihre Beine, weil die so lang sind, dass sie doch tatsächlich bis zum Boden reichen. Und das Beste: Sie haben Erfolg damit. Caro hat Ende März 4,1 Millionen Insta-Follower:innen, Leonie sogar 4,5 Millionen. Caro setzt auf Behind-the-Scenes-Filmchen mit vermeintlich authentischem Inhalt („all the things that can go wrong – go wrong“), die so künstlich wirken wie nur was. Leonie macht weiter mit konventionellen Posts – in Glitzerkleidchen, mit Kaffee in der Hand und Spiegel-Selfies. Wir haben verstanden, sie sind Marketingfachfrauen, keine Stilikonen, sie wollen verkaufen, nicht überzeugen. Aber es ist alles so simpel, so durchschaubar, so wenig überraschend.

Die Auftritte der beiden sind nicht mal anti-ästhetisch, das wäre ja noch was, nein, sie sind anästhetisch, sie schläfern ein, ohne dass man weiß, ob man aus dieser Narkose jemals erwachen wird. Herrgott noch mal, macht euch frei! Lebt! Freut euch! Lasst den Krampf einfach sein – das wäre wahre Mode.

This article first appeared in ACHTUNG Nr. 45 “Neben Saison”