OFFSEASON. NEBENSAISON. IRGENDWIE ZUR FALSCHEN ZEIT am richtigen Ort. Dieses Gefühl kennt man in der Mode nur allzu gut. Bikinis werden präsentiert während draußen ein Schneesturm wütet, Wintermäntel bei über 30 Grad fotografiert. Irgendwie alles ein bisschen off eben. Ändern wollte man diesen Anachronismus der Modesaisons eigentlich schon längst. Mitten in der Corona-Pandemie, als die Welt pausierte, da sollte das abgenutzte Ritual der Saisonalitäten und Shows abgeschafft werden, um einen neuen Rhythmus zu finden. Künftig werde alles nur noch an die Jahreszeiten angepasst werden, versprach man, der Umwelt wegen und so. Kollektionen erst dann verkauft, wenn sie auch getragen werden. Die Apokalypse im Nacken, vermarktete sich „die Welt verbessern“ halt wirksamer. Geblieben ist von dieser Initiative, der Mode ihre zeitwidrige Absurdität zu nehmen, vier Monate nach (offiziellem) Ende der Corona-Pandemie herzlich wenig. Welcome back titelte der Branchendienst The Impression schon im Herbst 2022 bei jedem:jeder Designer:in, jeder Marke, die auf den Laufsteg zurückkehrte und sich den gestrigen Saisons wieder unterwarf. Es darf wieder gefeiert werden und vor allem sich selbst. Kaum ein anderer Ort würde sich hierfür als Kulisse wohl besser eignen als Sylt, die Sandburg der Superreichen (Der Spiegel/ Juli 2022), auf der ACHTUNG-Fotografin Julia von der Heide Schauspielerin Milena Tscharntke und Wolfram Amadeus wie aus der Zeit gefallen inszenierte – in Sommerkleidern und luftigen Hemdchen, zwischen kreischenden Möwen, bei eisigen Februarstürmen, die alle Klischees, welche Sylt im Sommer bedient, einfach wie weggeblasen erscheinen lassen. Denn spätestens seit den Zeilen „Es ist zwar etwas teurer/Dafür ist man unter sich“ weiß dank der Band Die Ärzte und ihrer Hymne Westerland auch der Rest der Nation, was hier gilt: Promis, Porsche, Partys. Da passt es, dass das amerikanische Time-Magazin soeben Sylt zu einem besonders schönen Reiseziel erkor – als einzige deutsche Destination landete die Insel im März in den Top 50 des Magazins; was demnächst dazu führen mag, dass Zugladungen von reichen US-Rentner:innen über den Hindenburgdamm auf die Insel gelangen. Gut, dass da erst im August letzten Jahres das teuerste Luxushotel Deutschlands, der Lanserhof, auf Sylt eröff nete. Dessen Zimmer allesamt in Weiß, Beige, Holz- und Naturmaterialen gehalten, sollen einen neben Detox-Drainage und Medical Rebalance Program wohl zu mehr innerem Zen verhelfen, wenn die Nordsee drumherum schon so rau und die Welt, pardon, so scheiße ist. Ein Konzept, das ähnlich auch der Berliner Concept-Store The Square verfolgt, wenn man hier auch nur mit ecru-farbenen Wänden gegen den ewigen grauen Himmel der Hauptstadt anstrahlen will.
Unsere Design-Autorin Valerie Präkelt hat The Square besucht und wird ab dieser Ausgabe unsere neue Kolumne Modehaus bestreiten, in der wir dem Phänomen nachgehen, wie die Mode gerade die Interior-Branche erobert. Apropos, erobern, bisher gab es für den Sound der Mode, jener wabernden Musikuntermalung für den walk auf dem Laufsteg, vor allem zwei Namen, Altmeister Michel Gaubert und Frédéric Sanchez. Aber jetzt auch: Lukas Heerich – unser Made in Germany dieser Ausgabe, der unter anderem die futuristischen Kollektionen von Casey Cadwallader bei Mugler bespielt. Autor Gabriel Proedl hat ihn in Berlin, dessen Zeitheimat, begleitet. Eins hat die Pandemie dann aber doch noch geschafft, im Wirrwarr der Saisons, ist Im Augenblick nicht mehr der:die Designer:in der Star, sondern die Brand. Alle Macht der Marke. Oder eben den Superreichen, bleibt ja irgendwie das Gleiche. Übrigens, zum Bau des Lanserhofs in List auf Sylt wurde extra eine Düne abgetragen. Die Einheimischen hat dazu mal wieder keiner befragt. DieNatur ebenfalls nicht. Diese könnte nun allerdings in ein paar Jahren zurückschlagen. Die Wanderdüne von List, ein trotziger, riesiger Sandberg, bewegt sich schneller als gedacht in Richtung Straße und könnte die Zufahrt zum gigantischen Resort versperren. Recht hat sie.