Made in Germany

Daniel Del Core

Es gibt Namen, die klingen schon nach der zweiten Silbe irgendwie nach Glamour. Daniel Del Core ist so einer. Der coolste Schwaben- Junge der Mailänder Modewelt, hat nicht nur einen CV, der von Versace bis Gucci reicht, sondern mitten in der Pandemie gezeigt, dass Glitzerfummel doch sexier sind als Jogging-Hosen.

Look from Pre-Fall 2022

Klingt alles schon mal gut: Daniel Del Core, 33, Deutscher mit italienischen Wurzeln, zuletzt bei Gucci Leiter des Red Carpet Dressing, seit 2020 eigenes kleines Label und gleich eine Show bei der Mailänder Fashion Week.

Es kommt aber noch viel besser: Denn Del Core hat zwar tatsächlich ein bisschen italienisches Blut und sieht auch danach aus, weil sein Großvater einst von Apulien nach Deutschland auswanderte, geboren und aufgewachsen ist er jedoch im baden-württembergischen Rottweil. Mit Spätzle statt Orecchiette und breitem schwäbischen Dialekt. Sein heute fast perfektes Italienisch lernte er erst während des Studiums in Mailand.

Und zuletzt arbeitete er nicht nur sieben Jahre bei Gucci, sondern zuvor auch bei Dolce & Gabbana, Versace und Zuhair Murad im Libanon. Das mit dem kleinen Newcomer-Label muss man sich auch etwas anders vorstellen. Während Leute wie Jonathan Anderson etwa die ersten Jahre in einem ungeheizten, fensterlosen Studio in Dalston, East London, zubrachte, residiert Del Core in einem eleganten Stadthaus. Über drei Etagen. Früher war hier ein Edelpuff, in dem die Kutschen diskret bis ins Foyer fahren konnten. Heute ist die Via Donizetti eine der besten Adressen Mailands, schräg gegenüber wohnt der Moncler-Gründer Remo Ruffini.

Hier sollen ja auch nicht irgendwelche Entwürfe entstehen, sondern gleich welche mit Couture-Anspruch. Kleider wie Naturgewalten, mit Volants, die an lange Fangarme erinnern, und Ärmeln, die wie Äste von den Armen bis zum Boden reichen. Wer großen Bahnhof gelernt hat, kann sich eben auch großen Bahnhof erlauben. Seine erste Show war Mailands einzige Laufstegpräsentation mit Publikum während der Pandemie-Saison im Februar 2021. Überhaupt ist er der einzige Deutsche, der sich gerade eine Live-Show leistet. Gauchere, GmbH, Talbot Runhof – alle setzten zuletzt lieber auf digitale Formate. Dafür saß bei Del Cores zweiter Präsentation diesen September gleich mal Anna Wintour in der ersten Reihe, das Casting war vom Feinsten, die PR macht Karla Otto. „Not your usual newcomer“ lautet der allgemeine Tenor aus Mailand.

Lakota wearing DEL CORE F/W 2021

Der Name Del Core bedeutet übersetzt: von Herzen. Kein „Künschtlername“, wie der Designer beteuert, weil das ja tatsächlich fast zu gut klingt. Der 33-Jährige sitzt in seinem elegant eingerichteten Büro im obersten Stockwerk, die schulterlangen Haare hat er zum Man Bun geknotet, in dem sie ganz dunkel erscheinen. Zwei Tage zuvor trug er sie backstage nach seiner Show offen, da waren die rausgewachsenen blondierten Spitzen zu sehen. Dazu trug er ein offenes Hemd über und über mit grellgrünen Pilzen bedruckt, schwarze Jeans, schwarze Vans. Da steht jetzt äußerlich deutlich mehr Modewelt statt Rott- weil drauf, wo früher mit der Oma auch mal aus dem Otto-Katalog bestellt wurde.

Aber tief drinnen ist Del Core, wie er sagt, immer noch total Schwabe. Deshalb ist diese „Herzensangelegenheit“ hier nicht irgendeine Caprice, sondern generalstabsmäßig geplant. „Ich habe sehr klar vor Augen, was ich will. Entweder ganz oder gar nicht, ich schraube meine Ansprüche nicht runter“, erklärt er. Er will der Mode das Langsame, das Besondere zurückgeben. „Wenn ich jetzt nichts Geiles mache, hätte ich ja bleiben können, wo ich war.“

Bei Gucci also. Zwei Jahre arbeitete er unter Frida Giannini, stieg mit 26 zum Headdesigner des Vip-Departments auf, arbeitete dann noch mal fünf Jahre an der Seite von Alessandro Michele. In den Kleidern von Florence Welch, Dakota Johnson, Björk, steckte immer auch ein ganzes Stück von diesem Rottweiler drin. „Ale“, wie Del Core Michele nennt, sei von der Vision her und menschlich ein großes Vorbild gewesen. Einen Tag vor der Show hat Ale ihm per Whatsapp Glück gewünscht, man bleibt in Kontakt. Wie Del Core überhaupt exzellente Verbindungen in der Branche haben dürfte.

Aber das allein reicht schon lange nicht mehr. Es braucht eine ganze Menge Geld, um heute ein neues Label aufzuziehen, und noch mehr, um in Mailand eine große Show zu präsentieren, Unmengen davon, um an so eine Adresse zu ziehen. Wer der Investor im Hintergrund ist, treibt deshalb nicht wenige Leute in der Stadt um. „Keine Italiener“, so viel verrät Del Core, „sondern internationale Freunde“, die anonym bleiben wollen. Das ist in der Modewelt, in der sich Menschen so gern mit fremden Straußenfedern schmücken und gewisse Investoren in Berlin regelmäßig selbst zu Fashion Victims wurden, ungewöhnlich. Und deshalb natürlich gleich verdächtig.

Dress DEL CORE F/W 2021 shot by Armin Rafili at Tempelhofer Feld in Berlin.

Del Core könnte es nicht egaler sein. Die Überlegung, etwas Eigenes zu machen, gab es immer mal wieder, erzählt er. Am Ende träume eben jeder junge Designer davon, alleine zu fliegen. Bei einem Wochenendbesuch und einem Glas Wein ergab sich das Angebot. Zwei Jahre später hat er ein Atelier mit 12 Mitarbeiter:innen, die US-Vogue schrieb ein begeistertes Feature über ihn. Gab ja modisch auch sonst nicht viel zu berichten in letzter Zeit und in Mailand sind junge, vielversprechende Designer:innen traditionell eher Mangelware. Aber unten im Showroom sitzen gerade Retailer aus ganz Europa und lassen sich die Kollektion für nächstes Frühjahr zeigen.

Del Cores Vater ist Komiker, die Mutter managte seine Geschäfte, heute kümmert sie sich in Rottweil um die Nachbarschaftshilfe. Die Familie hat drei Kinder, noch einen jüngeren Sohn und eine jüngere Tochter, und wenn der Älteste mal wieder Mist gebaut hatte, schickte der Vater ihn aufs Zimmer. Der Junge fragte dann, ob das Gartenhaus auch ok sei und ging dort schnitzen, wie Michel aus Lönneberga. Oder er zeichnete. Und wie er zeichnete! Übers Zeichnen kam er zum Design, bekam ein Stipendium für eine Kunstakademie und später noch ein zweites für ein Studium der Visual Arts und Design. Und weil man da, wo er herkommt, zu Ende bringt, was man angefangen hat, machte er eben beides parallel fertig. Mit 22 fing er bei Dolce & Gabbana an. „Ich komme nicht von nirgendwo, ich habe schon viel gearbeitet in meinem Leben“, sagt Del Core. Umso wichtiger sind ihm seine Urlaube, wobei man sie wohl eher „Trips“ nennen sollte. Er geht am liebsten dorthin, wo wenige vor ihm waren, mitten in die Natur, mitten ins Nirgendwo. Mit seinem Freund, der griechische Wurzeln hat, aus Wilhelmshaven stammt und dann ebenfalls nach Mailand zog, war er voriges Jahr im Amazonasgebiet. Bei einem indigenen Stamm, der erst vor Kurzem entdeckt wurde. Zuletzt reisten sie nach Costa Rica ins Cloudbridge Nature Reserve auf dem höchsten Berg des Landes. „Tausend Jahre alte Bäume, komplett mit Moos bewachsen, riesige Äste“, schwärmt Del Core. „Du fühlst dich wie in einem anderen Reich, als schaust du in das Herz der Erde.“ An die Arbeit denke er auf diesen Trips nie, nicht eine Sekunde. Aber natürlich fließen die Eindrücke später bewusst wie unbewusst in seine Arbeit ein. Das kristallhelle Vogelpfeifen, das im Showsoundtrack zu hören war, hat er selbst im Cloudbridge Forest aufgenommen. Die Mini-Orchideen, die dort auf den Bäumen wachsen, finden sich nun in ähnlicher Fülle auf einem weißen Kleid aus scheinbar unsichtbar aneinandergesetzten Seidenpaneelen wieder. Über 1.000 Stunden brauchen die Näher:innen mitunter für solche Kniffe. Einfach macht er es sich und seinem Team nie, selbst etwas, das wie Nieten auf Seide aussieht, sind in Wirklichkeit Ringe, die darunter Intarsien aus Tüll einschließen. Details und Handwerk gehen ihm über alles, was vielleicht auch ein Problem ist. Die Teile stehen der Summe bisweilen im Weg, die Machart der Kleider beeindruckt bei manchen Entwürfen mehr als die Vision als Ganzes.

Das Feedback auf seine bislang zwei Kollektionen reicht von spektakulär über „outlandish“ bis aus der Zeit gefallen. Natürlich gibt es eine Klientel, mehr denn je, die das Besondere sucht, made-to-order, made-to-blow-away. Aber wie man damit ein Label finanzieren soll?, fragen sich Branchenleute. Del Core hört das nicht zum ersten Mal. Erst mal wolle er eben zeigen, was die Marke ist. Die Core-Features etablieren sozusagen. Danach könne man immer noch mehr Prêt-à-porter machen, die Accessoires ausbauen. Und wenn das auch nicht funktioniert? Del Core schaut ungerührt. „Macha mir eba was anderes.“

Alle Outfits DEL CORE

Porträtfotografie: Jonas Unger

Modefotografie: Armin Rafili

Model: Lakota Wijonarko

Fotografiert im Oktober 2021 am Tempelhofer Feld in Berlin

This article appeared first in ACHTUNG Nr. 42 (Fall/Winter 2021).