Albert Kriemler

Kleidung statt Verkleidung

Im Leben und in der Mode kann nur bestehen, was echt ist. Blöd nur, wenn der Markt dies gar nicht mehr verlangt: das Echte.

Diesen ganzen handwerklichen Kram – Skizzen, Schnittmuster, Prototypen. Wenn sich Design heute statt im Atelier auch am Handy machen lässt, mit Notizen, die man dann per WhatsApp-Nachricht an Assistenten verschickt. Wenn es als Chief Creative Officer in der Mode (hat ihr etwa jemand Designer gesagt?) heute nur noch darum geht, eine Vision zu haben für die Marke und am besten gleich für die gesamte Gesellschaft.

In letzter Zeit hatte die Vision, wie sich moderne Frauen heute fühlen, sehen, kleiden, darstellen wollen erstaunlich oft (was für ein Zufall) eins zum Thema: Feminismus. Da liefen bei Missoni Models mit rosa Strick-Pussy-Hats, dem Symbol des amerikanischen Women’s March über den Laufsteg, während Donatella Versace, sonst eher für den sexy Amazonen-Look bekannt, mit „Courage“- und „Equality“-Schriftzügen Stellung bezog und selbst bei H&M konnte man sich, dank „Power to the girls“-Hoodie, für 14,99 Euro zur Feministin shoppen.

Was allerdings passiert, wenn Feminismus auf der Karte hofiert, aber Konservatismus auf dem Teller serviert wird und die eigentliche Kollektion nicht mit dem mühsam aufgebauten Kartenhaus aus markanten Poster-Botschaften mithalten kann, konnte man jüngst bei Maria Grazia Chiuri, Chefdesignerin von Dior, sehen. Deren gebetsmühlenartige Wiederholungen feministischer Botschaften – in dieser Saison waren es die blinkenden Messages des französischen Künstlerkollektives Claire Fontaine („Patriarchy = CO2“, „Women’s love is unpaid labour“) – mögen zwar relevant sein, ihre nicht besonders einfallsreichen Looks aus Karoröcken, Dior-gebrandeten BHs und wallenden Fransenkleidern auf dem Laufsteg allerdings nicht.

Gut beraten ist man also, wenn einem, wie Akris-Chef Albert Kriemler, Trends und Herdentrieb schon immer herzlich egal waren. Vielleicht mag es daran liegen, dass in einem Familienunternehmen, das per se eigentlich schon so etwas wie ein female entrepeneurship innehat (Akris wurde 1922 von Kriemlers Großmutter Alice Kriemler-Schoch gegründet) die Rolle der starken Frau ganz einfach nie infrage gestellt wurde. Und so neben den Brüdern Albert und Peter Kriemler auch ganz selbstverständlich eine Frau, die Amerikanerin Melissa Beste, als CEO agiert. Nur zum Vergleich: Auch heute noch können nur 14 Prozent der großen Modemarken eine weibliche Geschäftsführung aufweisen.

Auf die Fahnen schreiben oder gar auf T-Shirts drucken lassen muss man sich das deshalb noch lange nicht. Stattdessen kümmert man sich in St. Gallen lieber um das, was moderne Frauen wirklich brauchen: eine gute Garderobe, unkompliziert und selbstverständlich. Und die sieht dann in etwa so aus: klare Linienführung und kultivierte Schönheit in Form von Doubleface-Mänteln, Power-Suiting und Kleidern, in die einmal reingeschlüpft, Frau nie wieder raus will. Eine Konzentration auf Kleidung statt Verkleidung, eine erkennbare Alternative, eine menschlichere Handschrift? Die gibt es bei Akris schon seit Jahren. Kriemler fashionisiert Frauen nicht, sondern kleidet sie ganz einfach ein.

Dass seine Entwürfe dabei nicht nur zeitlos wirken, sondern durchaus auch einen gewissen Haben-Wollen-Effekt beinhalten, liegt daran, dass Kriemler es in den letzten Jahren geschafft hat, von Künstler*innen und Architekt*innen inspirierte Kollektionen zu seinem persönlichen Markenzeichen zu machen. Viele dieser Kollektionen entstanden zudem in direkter Zusammenarbeit mit dem*der jeweiligen Künstler*in. Und so liest sich die Liste der Kriemler’schen Kooperationen auch wie ein Who’s who jener Künstler*innen, auf die nur ein versierter Kenner wie er treffen kann, wie die kubanisch-amerikanische Malerin Carmen Herrera, die rumänische Konzeptkünstlerin Geta Brătescu oder der schottische Gartenkünstler Ian Hamilton Finlay.

Es gibt wohl kaum ein weiteres Themenfeld, mal abgesehen von seiner Doubleface-Verarbeitung, von der Kriemler mit derselben Leidenschaft spricht wie von zeitgenössischer Kunst und Architektur. „Als ich die kubistischen Formen des französischen Architekten Robert Mallet-Stevens entdeckte, habe ich sofort über eine neue Rockform nachgedacht”, erklärt Kriemler dann auch in seinem Pariser Showroom, während er über die Entwürfe seiner Herbst-Winter-Kollektion streicht. Oder „Ich wollte die räumliche Volumenfrage einfach auch in einen Ärmel reinbringen.“

Dass Kriemler dabei nicht klingt wie ein pathetischer Selbstdarsteller, liegt vor allem daran, dass er in das Schaffen und die Werke seiner Künstler ebenso eintaucht wie in die Entwicklung seiner Stoffe. So entstehen Kriemlers Inspirationen auf ähnliche Weise wie seine Entwurfsideen. Das sogenannte Touché, das Gefühl für ein Gewebe, wenn er es in die Hand nimmt, oder der Moment, wenn ihn die Entdeckung eines Kunstwerkes wie einen Blitzschlag ereilt, sind intuitive Schlüsselelemente in seinem Kreationsprozess.

Wenn er also davon schwärmt, dass der Velvet-Devoré-Anzug, das Schlusssujet seiner Kollektion, mit einem der aufwendigsten Stoffe produziert wird, an denen er je gearbeitet hat, und dieser Stoff nur in Zusammenarbeit mit diesem einem, seinem Stoffdrucker, entstehen konnte, mit dem er seit über 20 Jahren ein freundschaftliches Verhältnis unterhält. Und wenn er dann erklärt, dass der Print auf dem seidig glänzenden Samt inspiriert ist von Sonia Delaunay, die mit ihrem Mann, Robert Delaunay, als Künstlerehepaar zu gleichberechtigen Teilen lebte, die Rolle der Frau als ewige Muse infrage stellte und dadurch, dass sie die Grenzen der Kunst kontinuierlich auf Textilen, Bühnenkostüme und Produktdesign erweiterte, zum größten Teil den gemeinsamen Haushalt finanzierte.

Dann tönt das nicht nach Marketingstrategie. Es klingt eher beruhigend. Persönlich. Und danach, dass hier ein Mann spricht, der neugierig, versiert und am Leben interessiert ist. Dies ist der Moment, in dem Mode zu etwas Echtem wird, weil sie subjektiv ist, sein muss, um heute überhaupt noch relevant zu sein.

Dieser Artikel erschien erstmalig in Achtung Mode Nr. 39.