Wood Wide Web

Statements aus einem Zeit Wissen Interview mit Peter Wohlleben

Wood Wide Web Bäume im schwarzwald

Bäume sind soziale Wesen, genau wie wir. Sie versuchen, die Gemeinschaftzu erhalten, denn als Gruppe sind sie stärker. Ein intakter Wald kann sich zum Beispiel im Sommer um drei Grad herunterkühlen – das funktioniert aber nur in der Gemeinschaft. Die Bäume dünsten Feuchtigkeit aus und kühlen damit ab, genau wie wir beim Schwitzen. Wenn das viele gleichzeitig machen, ist der Effekt deutlich höher. Dadurch sinkt der Wasserverbrauch. Wenn ein Baum krank ist, wird er von den anderen mit durchgepäppelt, weil die gesamte Gemeinschaft leidet, wenn es zu viele Ausfälle gibt.

Bäume können Stress-Signale aussenden.

Wenn es zum Beispiel zu trocken ist, senden sie über Wurzeln oder Blattöffnungen duftende Substanzen aus, die von den anderen gerochen werden. Im Sommer, wenn es zu trocken ist, duften beispielsweise Kiefern und Pinien besonders intensiv. Die Bäume signalisieren mit diesem Duft: Hilfe, es geht mir nicht gut! Ich habe zu wenig Wasser! Bäume können riechen und schmecken. Wenn Ulmen von Raupen angeknabbert werden, können sie erkennen, welche Raupenart es ist. In der Kontaktzone vermischen sich Raupenspeichel und Blattflüssigkeit. Jede Raupenart wiederum hat spezielle Parasiten, Schlupfwespen, und die Ulmen können mit Duftstoffen Schlupfwespen herbeirufen. Die Schlupfwespe riecht dann, dass es sich lohnt, da mal rüberzufliegen.

Und dann: die Pilze.

Sie bilden das „Wood Wide Web“. So nennen wir die Kommunikation innerhalb des Waldes. Mit ihrem unendlich weit verzweigten, unterirdischen Netz sind die Pilze die Fernmelder des Waldes. Über sie warnen sich die Bäume zum Beispiel gegenseitig bei Trockenheit vor. Wenn ein Pilz, der an einer besonders empfindlichen Stelle steht, denWassermangel bemerkt, schickt er über sein Netz Warnmeldungen herum. Die Bäume, die diese Warnung erhalten, können ihren Wasservorratrechtzeitig strecken, indem sie nicht so viel saufen. Dafür zahlen sie natürlich auch Fernmeldegebühren, indem sie mit ihren Nährstoffen den Pilz ernähren. Wie gesagt: Es handelt sich hier um eine Gemeinschaft.

Wood Wide Web Schwarzwald

Bäume tauschen Botschaften aus, umsorgen nicht nur ihren Nachwuchs, sondern pflegen auch alte und kranke Nachbarn.

Bäume sollten in den ersten 200 bis 300 Jahren langsam wachsen.

In Brasilien kennen wir Bäume, die in Brusthöhe erst zwanzig Zentimeter Durchmesser haben, aber schon 300 Jahre alt sind. Langsames Wachsen ist wichtig. Das Holz bleibt biegsamer. Es ist dicht und luftarm. Nur solche Bäume können ganz alt werden – und das auch, weil die Elternbäume sie lange Kind bleiben lassen. Indem sie durch ihr großes Blätterdach das Licht drosseln, lassen sie nämlich nur drei Prozent des Sonnenlichts durch. So wenig Sonne reicht den Bäumchen nicht, um schnell zu wachsen. So können sie mit ihren Kräften besser haushalten. Außerdem stillen die Elternbäume den Nachwuchs. Ihre Wurzeln verwachsen miteinander, und mit dem, was der große Baum für sich produziert – Zuckerlösung und andere Kohlenhydrate – versorgt er über die Wurzeln den Sämling. Er wird also gestillt. Bäume haben in den Wurzelspitzen gehirnähnliche Strukturen. Damit können sie quasi Entscheidungen treffen: Wo wachse ich lang? Ist es die eigene Baumart? Das Stillen funktioniert nicht nur über die Wurzeln, sondern auch oberirdisch, über Äste. Ich weiß von drei Buchen, von denen die mittlere unten komplett weggefault war, ihr Stamm schwebte also komplett in der Luft – und über die Äste haben die beiden anderen Bäume sie mitversorgt.

Wood Wide Web Schwarzwald

Der Wald ist nicht nur ein Zufluchtsort. Wir können auch noch was für unser Zusammenleben von ihm lernen.

Qaher trägt einen Mantel von GIORGIO ARMANI, Pullover von KARL LAGERFELD und eine Hose von VALENTINO.

Das Leben im Wald ist nicht romantisch.

Hier wird gekämpft: Buchen gegen Eichen. Von Natur aus gibt es in Deutschland keine reinen Eichenwälder. Jetzt holen sich die Buchen ihren Wald zurück. Das hier ist Krieg. Es kann bis zu 500 Jahren dauern, bis sich das wieder beruhigt. Vielleicht 1000 Jahre, bis die Baumart, die hier am besten zurechtkommt, wieder ihr Sozialgefüge aufgebaut hat. Das wirkt im Moment trostlos, aber auch das ist Natur, die in der Entwicklung ist und diese Plantage zurückerobert. 500 Jahre, 1000 Jahre.

Das können wir von den Bäumen lernen: Geduld.

Vor allem Geduld. Wir Menschen müssen im 21. Jahrhundert endlich begreifen, dass etwas Schönes entstehen kann, ohne dass wir daran beteiligt sind. Von der Natur zu lernen, das heißt: nur dazustehen und ja zu sagen. Natürliche Prozesse laufen in der Regel extrem langsam ab. Man sieht es daran, dass man eigentlich nichts sieht. Wir könnten also von der Natur und vor allem von den Bäumen mehr Gelassenheit den Dingen gegenüber lernen.

Auzug aus einem Zeit Wissen Gespräch zwischen Andreas Lebert & Hella Kemper und Peter Wohlleben.