Voll ins Grüne

Reklame 02: Bottega Veneta Salon 01

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Erster Gedanke: Rosemarie Trockel ist die neue Joan Didion. Die amerikanische Schriftstellerin war in der Céline-Kampagne vom Frühjahr 2015 so etwas wie das erste Poster Girl im fortgeschrittenen Alter. Juergen Teller hatte die zierliche Frau damals mit markant großer Sonnenbrille, ohne Lächeln, auf einem blassen Blümchensofa geknipst. Die Modewelt kriegte sich daraufhin, wir erinnern uns, gar nicht mehr ein über diese intellektuelle Coolness. Es waren die Phoebe-Jahre, es war alles: hinreißend.

Nun, mitten in der Pandemie, also die deutsche Künstlerin Rosemarie Trockel. Für Bottega Veneta in einen chlorophyll-grünen Bademantel gehüllt, auf einem Steg am See, irgendwo bei ihrem Wohnort in Brandenburg. Gelächelt wird hier natürlich auch nicht, wirklich gegroomt ebenso wenig, Trockel ist ja wie Didion keineswegs das übliche Clothes Horse, auch wenn beide von der Modewelt seit je her umgarnt werden. Die ganze Haltung ist also durchaus ähnlich, was ausnahmsweise absolut stringend erscheint. Schließlich war Daniel Lee vorher bei Céline beschäftigt. Sein Ansatz ist keine Kopie dieser Ästhetik – er ist die logische Fortsetzung der Phoebe-Jahre an anderer Stelle.

Was der gemeine Reklame-Konsument aber womöglich nicht weiß: „Rosi“, wie sie intern genannt wird, hat sich hier nicht nur schnell für Daniel in den Bademantel geworfen. Rosi war Teil des ganzen Schaffensprozesses. Die Kollektion wurde neben einer intimen Salon-Show in London in Form von drei Büchern präsentiert, eine Art Scrap Book von Lee, eine künstlerische Interpretation der Kollektion von Trockel sowie ein Fotobuch von Tyrone Lebon, der erneut die Kampagne fotografierte. (Wie übrigens auch schon mal eine für Céline.)

Es geht den Beteiligten also offensichtlich um mehr als nur reine Oberfläche, weshalb es sich in der Kollektion vor allem um eben diese dreht: Das Taktile spielt eine zentrale Rolle, die Materialien laden dazu ein, sie anzufassen, damit sie uns im Gegenzug sensorisch wie emotional berühren. Alles soll in Pandemie-Zeiten an Tiefgang gewinnen. Dass Daniel Lee als optisches, stoffliches Vehikel dafür einen Frottee-Bademantel nimmt, der zwar schön langflorig gefühlsecht auf der Haut sitzt, aber seit Harvey Weinstein eigentlich eine roba-non-grata war – das ist schon wieder so bewusst seltsam und gleichzeitig so seltsam anziehend, wie es Daniel Lee für sein Bottega Veneta insgesamt versucht zu etablieren.

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Nur die Farbe, die hat deutlich weniger Tiefgang. Halb Instagram schrieb sofort „Grün ist die Hoffnung!“ Mit dem Satz könnte man einen ganzen (Bio-)Zuchtbetrieb von Phrasenschweinen füllen. Vielleicht hat Daniel Lee nur deshalb alle Accounts abgeschaltet, damit ihm die tiefschürfenden Captions erspart bleiben. In Wahrheit will Kering-CEO François-Henri Pinault, wie er kürzlich erklärte, schon noch auf Social Media stattfinden, aber mehr auf die „Amabassadors und Fans“ setzen und sie für die Marke sprechen lassen, statt selbst zu reden. Mit anderen Worten: Warum selbst machen, was andere viel besser können? Plumpe Werbung zum Beispiel?

Konzentrieren wir uns wieder auf die richtige, selbstgemachte Reklame: Das Grün von diesem Bademantel, diesem Häkel-Kostüm, dieser Triangle-Bag ist diese Saison ja nicht irgendeines, sondern eben knalliges Chlorophyll-Grün irgendwo zwischen Techno-Club, Versuchs-Labor und „Back to Nature.“ Weil ersteres gerade nur im Kopf stattfinden kann, geht es vor allem um letzteres. Gucci ist mit The North Face ebenfalls gerade draußen unterwegs, Gärtnern boomt, Familien stapeln sich an Ausflugszielen. Nun sagt Bottega Veneta gleichsam „Raus ins Grüne.“ Die Hälfte der Motive ist draußen aufgenommen, mit Pflanzen im Hintergrund. Dieses Setting kommt zwar ungefähr so überraschend daher wie die Quallen bei Versace, aber was soll man auch sonst machen? Die Props aus den vorherigen Lee-Lebon-Kampagnen (goldenes Auto, Luxus-Yacht, angeblitzter Schnee) sind ja eher kein guter Look gerade.

Insgesamt scheint diese Saison unter dem Motto „Rückzug“ zu stehen. In die Natur, aber auch ins Private: Auf der Hälfte der Motive sind die Models auf Sesseln und Sofas zu sehen, die die exakt gleichen Farben, die gleichen Muster wie die Kleidung haben. Totales „blending in“. Daniel Lee verfasst erfreulicherweise keine Begleittexte zu seinen Kampagnen, aber im besten Fall spielt er damit auf die bemerkenswerte, aktuell zu beobachtende Fähigkeit der Menschen an, sich verschiedensten Begebenheiten anzupassen. Kann natürlich auch sein, dass nur irgendwer die alte Fotostrecken-Idee „Print vor Print“ rausgekramt hat und sonst gar nichts dabei gedacht wurde.

Was in jedem Fall kein Zufall sein dürfte: Fast alle Models sitzen weit zurückgelehnt oder liegen. Die ganze Kampagne scheint zu sagen: „sit back.“ Sich einfach mal zurücknehmen, eine Weile die Klappe halten (Social Media Exit, anyone?), die ganzen seltsamen Erfahrungen der letzten Monate sacken lassen. Nicht der lauteste Ansatz, womöglich auch nicht der erfolgreichste gerade, aber immerhin einer der interessanteren.