Virginie Viards Chanel

Ein erstes Fazit von Achtung

Chanel Virgine Viard Haute Couture Maike Inga im Schwarzwald

Im Dialog mit Coco und Karl verleiht Virginie Viard zunehmend auch ihrer eigenen Stimme mehr Gewicht. Das zeigen gerade ihre von Leichtigkeit geprägten Haute-Couture-Linien für Chanel. Ihre Geduld, das mag die größte Stärke Virginie Viards sein. Als sie vor beinahe zwei Jahren ihre erste vollends eigene Kollektion für Chanel präsentiert, vermeidet sie tunlichst, das Modehaus von Grund auf umzukrempeln. Behutsam führt sie Chanel in neue Zeiten, eine Marke, der es ohnehin um die Vergangenheit genauso wie die Zukunft geht. 20, 30, beinahe 40 Jahre waren die Kollektionen eine Korrespondenz zwischen Gründerin Coco Chanel und Erneuerer Karl Lagerfeld. Und nun also sollen aus ihnen drei Parteien sprechen, Chanel, Lagerfeld, Viard – Respekt und Zukunftsinn muss die Neue beweisen.

Zwei Jahre an der Spitze gelingt es Viard immer besser, ihrer eigenen Stimme Gewicht zu verleihen. Die Marke, gerade auch ihre Haute Couture stärker in der Realität zu verankern, sie einem facettenreicheren Frauentypus zu öffnen, umzudeuten, was Eleganz bedeutet – nicht nur für Chanel, sondern für die französische Couture überhaupt, als dessen Zugpferd die berühmteste Modemarke der Welt vielen ohnehin seit langem gilt. Die neue Haute Couture-Kollektion, am vergangenen Donnerstag via Schauenfilm präsentiert, eint die drei Disziplinen.

Chanel Haute Couture Virgine Viard Details

Grey, white and gold skirt in tweed embroidered with beads and strass embellished with braid and black pumps in leather and grosgrain CHANEL HAUTE COUTURE FW 2020/21.

Chanel Haute Couture Dress silver Maike Inga

Long white and silver dress in ennobled lace with asymmetric strap, waist ruffle and beautifully crafted mermaid like pattern CHANEL HAUTE COUTURE FW 2020/21.

Es ist nicht schwer, anhand fließender Hosenformen aus weichen Qualitäten und geräumigen Blusen den Alltag als eines ihrer Ziele zu erkennen. Alltag nicht im Sinne von Alltäglichkeit natürlich, sondern der Alltag als Sinnbild des Echten, Hosen und Blusen, in denen sich tatsächlich leben lässt. Und tanzen. Ein Hochzeitsfest ist schließlich Schauenthema, ein familiäres auf dem Dorfplatz allerdings, nicht ein formales im Pariser Ritz, so wird Viard zitiert. Für die Feier kleidet sie alle Gäste ein, von Mänteln in rötlichen Webmustern und pastellfarbenen Kostümklassikern für Mütter und Tanten, heißt es, bis zum sportiven Tweed-Zweiteiler und dem kurzen Party Dress aus schwarzem Tüll für Töchter und Nichten.

Eine Eleganz, die sich nicht bloß über ihre Oberfläche, die klugen Schnittlösungen und perfekten Materialien definiert. In diplomatischer Geste erzeugt Viard auch Modebilder, die mehr Frauen einschließen, mehr Körperformen und Lebensrealitäten außerdem. Zitate auf die reiche Geschichte Chanels lässt sie dabei nicht missen, ein kaum merkbar ausgestelltes, schwarzes Hängerkleid könnte der Ideenwelt Cocos, ein knieumspielendes, detailreiches Schleifenkleid jener Karls entsprungen sein. Und immer wieder flicht Viard mit gerade geschnittenen Hosen, in deren Taschen nonchalant die Hände gleiten, und offen getragenen, locker sitzenden Jacken ihr eigenes Stilempfinden ein.

Chanel Virgine Viard Chanel Haute Cotoure

Close-up: Grey, white and gold jacket in tweed embroidered with beads and strass embellished with braid CHANEL HAUTE COUTURE FW 2020/21.

Sie knüpft damit an ihre bisherigen Erfolge an. In der Haute-Couture-Kollektion für den Herbst 2019 setzt sie dem exaltierten Formenspiel Lagergelds ihre schmalen, langgezogenen Silhouetten entgegen, im Frühjahr 2020 erinnert sie an die Uniformen der jungen Klosterschülerin Chanel und entwirft zugleich Ideen einer zeitgenössischen, überluxuriösen Officewear. Und für den aktuellen Winter entwickelt sie ein besonders breites Spektrum der Modefantastereien.

Zu großen Teilen wurde die Haute Couture des Herbstes 2020 aus Materialien gefertigt, die in den Archiven Chanels bereits vorlagen. Das mag grundsätzlich an der außergewöhnlichen Zeit gelegen haben, in der die Linie entstanden ist. Aber es ist leicht vorzustellen, dass dieses Vorgehen Viard durchaus gefallen hat. Es gibt nur wenige Themen, die als so zeitgemäß und dringlich empfunden werden, als im öffentlichen Diskurs vor allem weiblich geprägt zudem, wie das der Nachhaltigkeit. Dem vielseitigen Stoffrepertoire entsprechend ist eine Kollektion entstanden, die sich eher aus starken Einzelteilen ergibt. Und es ist schon bezeichnend, dass zwischen all den Lookbook Bildern das zurückhaltendste am stärksten ins Auge fällt.

Zwischen einem asymmetrischen Kleid mit Schößchen, auf dessen Rockteil silberfarbene Pailletten weiche Wellenlinien formen, und einem zweifarbigen Cocktaildress mit reichem Petticoat, zwischen samtenen Ballkleidern und historisch anmutenden Rüschenröcken ist es vor allem ein Schwarz-Weiß-Motiv, das im Gedächtnis bleibt. Das Model darauf – die Haare offen, die Pose beiläufig – trägt einen gerade geschnittenen, dunklen l, der sich beinahe überallhin tragen lässt.