„Vielleicht sind Modehäuser die Mäzene unseres Jahrhunderts“

Akt der Zerstörung oder Aufführung einer Choreografie?

Die schwedische Bekleidungskette Cos kooperiert mit Michael Sailstorfer: Im Rahmen des Gallery Weekends startet der Berliner Künstler seine Skulptur „Silver Cloud“ als Live Performance.

Immer wieder knallt die Wolke aus Stahl unter ohrenbetäubenden Donner auf die steinerne Erde, die vor der enormen Kraft zur Seite flieht. Jeder neue Aufprall frisst sich förmlich in breiten Rissen weiter ein in die großen Steinplatten, die den Platz bedecken. Wie ein Ball, der auf den Boden hüpft, prallt auch die Wolke, die von einem großen Baukran baumelt, ruckartig vom Grund ab und tänzelt kurz und schwerfällig in der Luft. Beinahe rhythmisch, als ginge es in Wahrheit vielleicht gar nicht um den Akt der Zerstörung sondern um das Aufführen einer Choreografie.

Die eigentliche Kraft von „Silver Cloud“, dieser Skulptur, die der Berliner Künstler Michael Sailstorfer gemeinsam mit der schwedischen Premium-Kette Cos realisierte, und die im Rahmen des Gallery Weekends auf Sailstorfers Atelier-Gelände in Berlin-Weissensee nach ihrer explosiv performativen Geburt nun noch statisch zu sehen ist, offenbart sich auch bei geschlossenen Augen: Die Detonationen von Stahl auf Stein erschüttern den Körper und lösen heftige Empfindungen aus, deren Zwang sich zwangsläufig keiner entziehen kann.

„Ich mache mir immer viele Gedanken darüber, welche Präsenz eine Skulptur im Raum einnimmt.“

Ohne Zweifel schafft Sailstorfer mit „Silver Cloud“ eine intensive künstlerische Erfahrung, die geladene Gäste der Performance, darunter Johann König, Nora von Waldstätten oder Iris Berben, wortwörtlich bewegten. „Ich finde es gut, wenn Arbeiten sich mitteilen und eine Präsenz behaupten“, sagt der Künstler im Gespräch mit Achtung Digital. „Man kann es auch mit Andy Warhol umschreiben, der einmal sagte, er sei ein sehr introvertierter Mensch, der gerne so viel Raum einnähme, wie jemand Extrovertiertes. Deshalb trage er stets sehr viel Parfum auf. Ich mache mir immer viele Gedanken darüber, welche Präsenz eine Skulptur im Raum einnimmt.“

Das zwanghafte Erleben seiner zeitgenössischen Kunstwerke ist nichts Neues. Sailstorfers Werken kann der Betrachter meist schon aufgrund ihrer geräuschlichen oder olfaktorischen Komponente kaum entkommen. Wie etwa der zu einer Popcornmaschine umgebaute Betonmischer in Christian Boros Kunstspeicher, der konsequent aufgeploppten Mais spuckt und dabei den Raum mit seinem Duft erfüllt. Oder „Zeit ist keine Autobahn“, das einen rotierenden Autoreifen darstellt, der sich an der Ausstellungswand abreibt und alles nach heißem Gummi müffeln lässt.

Künstler Michael Sailstorfer

Und jetzt also die schwere Wolke, angelehnt an Andy Warhols schwebende Wolkenskulpturen, aber auch an Michael Heizers Happening „Bern Depression“ von 1969, der damals den Boden vor der Kunsthalle mit einer Abrissbirne drangsalierte. „Angetrieben hat mich das Ziel, einen poetischen Moment zu schaffen im Spannungsfeld zwischen der Schwere des Stahls und der Leichtigkeit, die man normalerweise mit Wolken assoziiert – der Zwischenraum könnte auch für Gemütszustände stehen“, so Sailstorfer.

Seinen Objekten durch Umgestaltung oder Umwandlung eine neue Bedeutung zu geben ist ein wesentliches Element seines künstlerischen Schaffens. Hier findet sich auch die Schnittstelle zur Cos’schen Ästhetik: „In meiner Arbeit frage ich mich oft, was man braucht, um eine Skulptur zu machen. Meistens ist meine Antwort, etwas wegzulassen. Auch bei den Kleidungsstücken von Cos geht es um ein Runterbrechen auf das Essentielle, um Reduktion und Re-Interpretation. Wir teilen den gleichen inhaltlichen Ansatz.“

Modekooperation COS mit Künstler Michael Sailstorfer

Insofern hatte sich Sailsdorfer gefreut, als die schwedische Kette, die zum H&M-Konzern gehört, vor zwei Jahren auf ihn zukam. Die Idee zu „Silver Cloud“ schwirrte ihm ohnehin schon im Kopf herum. Dank der Unterstützung von Cos konnte er seine Idee auch realisieren – weil es sich nicht um eine klassische Auftragsarbeit handelte. „Cos ließ mir alle Freiheiten, die ich brauchte, um eine Arbeit umzusetzen, die mir am Herzen liegt. Außerdem finde ich spannend, dass so ein breiteres Publikum angesprochen wird und nicht nur die Kunstwelt. Für mich ist das eine super Publicity“, findet Sailstorfer.

„Cos ließ mir alle Freiheiten, die ich brauchte, um eine Arbeit umzusetzen, die mir am Herzen liegt.“

Von seiner Skulptur hat sich wiederum auch Cos inspirieren lassen. Gemeinsame Themen wie Reduktion und Neubewertung finden sich deshalb in Elementen ihrer aktuellen Frühjahr-Sommer-Kollektion wieder. Zum Beispiel in feinen Drapierungen oder besonderen Faltenwürfen. Von der Kooperation profitiert also nicht nur Sailstorfer, sondern auch Cos. Die Nähe zur Kunst wird ohnehin aktuell für viele Modemarken immer wichtiger, sei es, ein riesiges Museum zu bauen, Kunstnachwuchs zu fördern oder mit Künstlern zu kooperieren. Sich im Schein künstlerischer Aura zu sonnen bedeutet immer auch, ein Image mit Substanz zu unterfüttern.

Cos x Sou Fujimoto Installation.

Für Cos ist die Zusammenarbeit mit Sailstorfer nicht die erste auf dem Gebiet der Kunst, von der sich der Bekleidungsriese schon immer gern inspirieren ließ. Häufig kommt es zur Zusammenarbeit mit Galerien, Messen und jungen wie etablierten Künstlern, die Cos auch lokal unterstützen möchte. Ein aktuelles Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem von Achtung Mode hoch geschätzten Architekten und Künstlers Sou Fujimoto im Rahmen des diesjährigen Salone del Mobile in Mailand – in der gemeinsamen Installation “Forest of Light”, in der Licht und Klang in eine neuartigen architektonischen Kontext gesetzt werden.

Für Sailstorfer sei die Kooperation mit Cos jedenfalls sehr positiv besetzt. „Natürlich überlegt man sich als Künstler, warum man so eine Geschichte macht. Kunst ist ja immer mit vielen Klischees behaftet, vor allem das Bild des Künstlers, der aus reinem Idealismus seine Arbeiten schafft. Man muss aber auch sehen, wie man die Mittel für seine Werke generiert – gerade ich mit meinen großen Skulpturen.“ Hier schließt sich für Michael Sailstorfer der Kreis: „Im Prinzip brauchte die Kunst schon immer Mäzene, um Arbeiten zu realisieren. Vielleicht sind Modehäuser einfach die Mäzene unseres Jahrhunderts – warum sollten sie selbst nicht auch davon profitieren.“