Strings attached

Tanga, Tabu und Talent

Gleichberechtigt liegen Körper am besten am Wannsee – gleich nackt. Rudi Gernreichs Bademoden-Entwürfe stießen eine Demokratisierung der Körperbilder und der gesamten Modebranche an, aber auch über 35 Jahre nach dem Tod des Wiener Moderevolutionärs sind wir noch nicht dort angekommen, wo er die Branche sehen wollte. Eine Retrospektive.

Nippel, die in der Sonne gebräunt werden. Nippel, die sich auf der Wasseroberfläche des Pools spiegeln. Nippel, von denen Poolwasser tropft. Nippel, von denen ein Kind trinkt. Dazu orchestraler Chorgesang. Das sind Szenen eines Kurzfilms, der allen Müttern gewidmet ist, allen Müttern überall. Blöd nur, dass, wer das Video als Hommage an die Mutterschaft sehen will, erst mal beweisen muss, alt genug zu sein, um diese furchtbare Nacktheit ertragen zu können. Was ist zu tun: ein Google-Konto anlegen, den Personalausweis abfotografieren und dann noch versichern, dass man wirklich so alt ist, wie es die Papiere sagen. Nackte Haut, Frauenbrüste  – immer noch eine Provokation.

Der Schocker der Branche

Somit wird das Video – eigentlich als Hommage an Mutterschaft gedacht – zu einer Hommage an den Designer, dessen Badeanzüge im Video von den Frauen getragen werden – Rudi Gernreich. Einer, der eigentlich mit allem schockte, was er als Designer getan hat. Er war es, der mit dem Entwurf des Monokinis, einem Badeanzug, der den Oberkörper der Träger:innen freilässt, den Blick auf Brüste freilegte – und damit auch den Blick auf den schambehafteten Umgang mit Körpern und die Hypersexualisierung von Frauenkörpern. Was ist an der weiblichen Brust so anrüchig, so anders im Vergleich zur männlichen? Rudi Gernreich beantwortete die Frage mit seinem Monokini und ließ damit 1964 den Atem der prüden Modewelt stocken – und wurde daraufhin von Papst Paul VI höchstpersönlich zum „Feind der Kirche“ erklärt.

Die Filmemacherin Alexa Karolinski hat 35 Jahre nach Gernreichs Tod diesen Kurzfilm im Dokumentarstil produziert, der die Entwürfe von Gernreich feiert und die gesellschaftliche Freiheit des weiblichen Körpers erforscht. Fazit: Sie reicht bis zu den Altersbeschränkungen des World Wide Web. Klar wird: Es hat sich kaum etwas verändert. Gernreich war vor über 40 Jahren mit seinen freien Vorstellungen von Geschlechtern, Nacktheit und Körpern nicht nur seiner Zeit voraus, sondern auch unserer, der jetzigen: Wir haben ihn immer noch nicht eingeholt.

Der Anatomie-Student

Gernreich wurde 1922 in Wien geboren. 1938 floh er mit seiner Mutter vor dem NS Regime nach Los Angeles. Sein erster Job dort war es, Leichen vor der Autopsie in einem Leichenschauhaus zu waschen. Seine späteren Entwürfe waren immer exakt an den Körper angepasst – anliegend und entspannt zugleich. Was Gernreich in diesem Leichenschauhaus tat, so wird er es später in Interviews erzählen, war im Grunde Anatomie studieren, bevor er dann in den 1950er-Jahren in den USA zu einem der wichtigsten und zugleich umstrittensten Designer seiner Zeit wurde.

Zehn Jahre nach der Befreiung der Brüste griff Gernreich den Gedanken wieder auf, dass Haut eigentlich geschlechtsneutral ist und entwarf den legendären „Thong“. Einen Badeanzug für Männer und Frauen, der die Brust bedeckt, aber den Po freilässt. Wie bei einem G-String zieht sich nur ein dünner Streifen Stoff zwischen den Pobacken durch: Der Tanga war geboren.

Der Revolutionär

So wie Gernreich Körper demokratisierte, versuchte er dies auch mit der Modebranche und brach mit dem ungeschriebenen Gesetz, dass namhafte Designer ihre Kollektionen nicht in regulären Kaufhäusern verkauften. Er bot seine Kollektionen einfach in der Kaufhaus-Kette Montgomery Ward an. „Mode kommt aus der Mode“, heißt eines seiner berühmtesten Zitate. Die Menschen, so nahm er es damals wahr, würden immer weniger Wert darauf legen, was sie tragen. Ironischerweise fand er diese Entwicklung richtig.

Gernreich starb 1985 im Alter von 62 Jahren. Seine Mission ist geblieben: Die Rudi Gernreich GmbH produziert und verkauft weiterhin die Designs des Moderevolutionärs. Die Firma sitzt in Berlin und wird vom Unternehmer Matthias Kind geführt, einem Gernreich-Fan. Die Rechte für das Gernreich-Revival musste sich der Unternehmer von der American Civil Liberties Union, kurz ACLU, eine der wichtigsten gemeinnützigen Bürgerrechtsorganisationen in den USA, holen. Denn Gernreichs Partner Oreste Pucciani hat ihnen nach Gernreichs Tod die Rechte an seinem Namen, seinen Designs sowie Teile seines Vermögens übertragen. Und der Deal bleibt bestehen: Die Bürgerrechtsorganisation erhält von der Rudi Gernreich GmbH in Berlin Teile der Einnahmen aus dem Verkauf der revolutionären Designs. Der Kampf um freie Nippel bleibt.

Swimsuit and monokinis RUDI GERNREICH

Photos: Konrad Waldmann

Styling: Markus Ebner

Models: Eliza Kallmann / Munich Models

Johanna Schapfeld / Iconic

Lilith Stangenberg

Produzent und Konzeption: Marcus Kurz / Nowadays

Location: Strandbad Wannsee