Stoffsammlung: Guram Gvasalia

"The Lost Case"

Zwei Brüder, perfekte Arbeitsteilung. Hier das kreative Superbrain, dort der geschäftstüchtige Manager. Das war, ziemlich grob verkürzt, das Erfolgsrezept des ziemlich erfolgreichen Labels Vetements.

Die Modewelt lernte den kleinen Bruder Guram vor acht Jahren als jemanden kennen, der im Hintergrund geniale Deals mit DHL einfädelte und in einer einzigen Saison ein Dutzend Kooperationen mit Namen wie Levi’s oder Alpha Industries stemmte. Die Idee, den Firmensitz in die steuerlich deutlich günstigere Schweiz zu verlegen? Könnte ebenfalls von ihm stammen.

Gosha Rubchinskiy im DHL-Shirt bei der Vetements S/S 2016 Schau 

Doch dann verließ Demna 2019 Vetements, um sich auf Balenciaga zu konzentrieren. Sein Bruder blieb – und ist jetzt plötzlich nicht mehr nur CEO, sondern auch Creative Director. Die Versuchung ist groß, James Ferragamo dachte vergangene Saison bekanntlich auch mal kurz, er müsse jetzt Designer spielen. In einem Post zur nächsten Herbst-Winter- Kollektion verkündete er auf Instagram vollmundig sein „Coming out“. Er wolle mit diesem Schritt die Codes und die DNA der Marke beschützen. Und er mache das nun öffentlich, für all die Kids da draußen, die von einer Modekarriere träumen, sich aber nicht trauten, es ihren Eltern zu sagen. Denn bei ihm sei ein Modestudium auch keine Option gewesen – weil Demna schon „the lost case“ schien und er die einzige Hoffnung der georgischen Flüchtlingsfamilie blieb.

Guram Gvasalia auf der Titelseite der Forbes Deutschland

Als Hoffnungsträger studiert man, klar: Wirtschaft. Ist der Designerposten also nun späte Erfüllung? Oder mittelfristige Selbstüberschätzung? „Das Label des Guram“, nannte es Forbes Deutschland grammatikalisch korrekt, wenn auch ziemlich behäbig, und hob Guram im Juni auf den Titel. In der georgischen Ausgabe stand zuvor immerhin Life without limits, was es besser trifft. Guram, der sich als zurückhaltend beschreibt, scheint die neue Aufmerksamkeit jedenfalls zu genießen. Er postet jedes Interview, jedes Titelbild. Eine neue kreative Richtung ist dafür bei Vetements bislang nicht zu erkennen. Die DNA, die ihm „im Blut liege“, wie Guram sagt, wird kaum angetastet, die immer gleichen Codes nur leicht variiert. Das ist wenig originell. In der aktuellen Modewelt aber wohl nicht die schlechteste (Geschäfts-)Idee.

This article first appeared in Achtung Mode Nr. 44

Titel-Illustration von Sarah von der Heide