Stoffsammlung: 100 Jahre Akris

Ein Jubiläum mit neugewonnener Freiheit

Albert Kriemler lernt man am besten kennen, wenn man mit ihm vor den Schaufenstern von Bergdorf Goodman an der Fifth Avenue in New York steht. 1979, so erzählt er dann, stand er schon einmal hier, und er wusste damals, dass er wiederkommen würde. 1988 kam der erste Auftrag von Dawn Mello, der legendären Modedirektorin von Bergdorf Goodman und seitdem ist seine Marke Akris im Schaufenster oder zumindest im vierten Obergeschoss zu sehen, und das ist heute fast mehr noch ein Wunder als vor drei oder vier Jahrzehnten. Denn der Luxusmarkt ist zugestellt wie ein übervoller Kramladen.

Akris Special für die September Ausgabe des FAZ Magazins, fotografiert von Julia von der Heide

Um jeden Quadratzentimeter in den großen Kaufhäusern wird gekämpft. Und dabei haben natürlich vor allem diejenigen mit der größten Macht die besten Chancen. Wer also zu Konzernen wie LVMH oder Kering gehört, dem wird man bei Saks, Bergdorf oder Galeries Lafayette gerne den roten Teppich ausrollen. Aber was, wenn man ein Familienunternehmen aus der Schweiz ist? Dann braucht man gestalterischen Ehrgeiz und unternehmerisches Durchhaltevermögen. Erst recht, wenn man fast allein ist. Konnte sich Akris bis zuletzt noch mit Dries Van Noten, Lanvin, Etro und Missoni vergleichen, fallen diese Vergleichsgrößen nun weg, denn all diese Marken haben nun einen Investor, sind also nicht mehr unabhängige Familienunternehmen. Gut also, wenn man nicht ganz allein ist: Albert Kriemler hat seinen Bruder Peter, der fürs Geschäft zuständig ist, an seiner Seite. Bei Diskussionen der beiden wäre man gern dabei. Nach außen jedenfalls wirkt dieses Unternehmen so konsistent, dass man sich gar nicht wundert, wenn in diesem Herbst der 100. Jahrestag der Gründung ins Modehaus steht.

Masha in Akris in der A44

Akris, das ist ein Akronym aus Alice Kriemler-Schoch. Die Großmutter der beiden gründete 1922 ein Atelier für Schürzen in St. Gallen, einem geradezu idealen Ort, denn die 75.000-Einwohner-Stadt in der Ostschweiz ist ein altes Textilzentrum, und die St. Galler Stickerei war das wichtigste Schweizer Exportgut vor dem Ersten Weltkrieg. 100 Jahre – das ist keine lange Zeit. Bis zu seinem Tod 2017 im Alter von 95 Jahren saß auch noch Max Kriemler als lebender Zeitzeuge in der ersten Reihe der Akris-Schauen in Paris. Der Sohn von Alice Kriemler-Schoch hatte die Produktpalette vergrößert, das Unternehmen inter- nationalisiert und für Couturehäuser wie Ted Lapidus und Givenchy gearbeitet. Bevor aber sein zwanzigjähriger Sohn Albert Kriemler 1980 als Lehrling zu Givenchy gehen konnte, musste er im Betrieb mithelfen – und übernahm gleich die Design-Verantwortung. Wenn man also genau nachrechnet, dauert es nicht mehr allzu lange, bis Kriemler sein fünfzigjähriges Designjubiläum feiert, und das ist wirklich unglaublich, wenn man bedenkt, wie jugendlich er wirkt. Kriemler, der auf Französisch so flüssig redet wie auf Englisch, hat sich in Paris einen Namen gemacht. Und je sicherer er wurde, je selbstverständlicher es war, dass in der ersten Reihe von Anna bis Edward die wichtigsten Namen sitzen – desto stärker lässt er seiner Fantasie ihren Lauf. Die Künstler-Kooperationen mit Thomas Ruff oder Carmen Herrera sind ein Ausdruck dieser neu gewonnenen Freiheit. Sie zeigen Kriemlers Offenheit für die anarchische Lust, Mode einmal ganz anders zu sehen – wirklich bemerkenswert angesichts seiner designerischen Stringenz und Strenge.

T-Shirt and Skirt AKRIS, in der A41

In der letzten Saison nun: Schürzenkleider, in Erinnerung an seine Großmutter. Wegen der Pandemie besann er sich auf St. Gallen, und wegen des bevorstehenden Hundertjährigen auf die Ursprünge. Schürzenkleider in das heutige Frauenbild einzupassen ist mutig, weil sie die Frau scheinbar festlegen auf eine Rolle, die sie gar nicht mehr hat. Kriemler kann das egal sein. Von seiner Großmutter bekam er qua Schürze die vestimentäre Message: „ready for work“. Und diesen Spirit nimmt er auf. Das ist nicht nur wichtig, um sich in Kaufhäusern durchzusetzen. Das hilft auch gegen die Online-Konkurrenz zu bestehen. „Man kann Sweatshirts und Hosen im Netz verkaufen“, sagt Albert Kriemler. „Aber eine Frau, die richtig bedient werden will, und zwar auch mit anspruchsvolleren Entwürfen, der kann das einfach nicht genügen.“ Also müssen sie die eigenen Geschäfte stärken, auch an ungewohnten Orten. In Palm Beach lief das Business gut während der Pandemie, denn in „second homes“ bleibt man auch wegen der „remote work“ länger. Warum also, nur zum Beispiel, nicht auch Sylt? Für Kriemler, der sich mit akkuratem Äußeren und leiser Intensität auch persönlich von an- deren Designer*innen unterscheidet, bleibt noch viel zu tun. Auch mit seinem 50. Design- Jubiläum kann noch nicht Schluss sein.

Trenchcoat AKRIS, in der A41

This article first appeared in Achtung Mode Nr. 44

Titel-Illustration von Sarah von der Heide