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René Storck eröffnet die Frankfurter Fashion Week

René Storck, mit dem Mikro in der einen Hand und der anderen Hand in der Hosentasche, steht auf einer Dachterrasse zwischen Vertretern der Mode und Finanzwelt, die darauf warten, dass er etwas sagt. Aber Storck ist kaum zu hören. Er hält das Mikrofon zu weit von seinem Mund weg. Christiane Arp greift an seinen Ellbogen und führt das Mikro näher an seinen Mund. Sie will das gehört wird, was er zu sagen hat. Doch Storck lässt das Mikro wieder sinken. Wochenlange Arbeit liegen hinter ihm und vor ihm jetzt die Skyline Frankfurts, siebter Stock, klare Sicht auf seine Stadt. Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Seine Mode hat für sich gesprochen. Vor etwa einer Stunde lief seine Modenschau in der Frankfurter Börse; die größte seiner 30-jährigen Karriere.

René Storck mit Models fotografiert von Andreas Rentz für Getty Images/FCG

„Immer wenn Christiane anruft, gibt es Arbeit“, so soll René Storck mal ihre gemeinsame Beziehung beschrieben haben, scherzt Arp, als sie selbst das Mikrofon hält. Drei Mal habe sie ihn angerufen, ehe er abgenommen habe, um ihm den Vorschlag mit der Eröffnungsshow in Frankfurt zu machen. Den ganzen Abend wird Storck und Arp nicht viel mehr trennen als eine Tischkante, vielleicht mal ein oder zwei Personen, die sich in Konversationen zwischen sie schieben. René Storck weicht den Abend über nicht von Arps Seite oder Arp nicht von Storcks.

Modedesigner René Storck und Ex-Vogue Deutschland Chefredakteurin Christiane Arp fotografiert backstage von Tamara Bieber

Wenige Stunden vorher sitzt Storck im Backstage seiner Show in der Frankfurter Börse und sagt: „Es hat mich gerade bei der letzten Probe mit den Models doch sehr bewegt, als Frankfurter hier, an diesem ikonischen Ort, nach 30 Jahren meine Arbeit zu zeigen.“ Wir führen das letzte Interview mit dem Designer, bevor die Show beginnt. Nach über 30 Jahren in der Branche hat er nie eine Show mit ähnlich viel Gästen, Models und Looks auf die Beine gestellt. Dabei wirkt er ganz ruhig. Sehr höflich. Nicht mal gehetzt in seiner Wortwahl. Storck ist ein Profi und trotzdem: Dieser Moment, diese Show könnte für ihn unvergleichlich bleiben.

Cast fotografiert von Tamara Bieber

Ein paar Meter von Storck entfernt, mitten im Saal, der als Backstagebereich dient, sitzt Christiane Arp auf einem freischwingenden Stuhl. Manchmal steht sie auf, geht zu Storcks Team, beugt sich vor, fasst an ihr Brillengestell und reibt beim Sprechen an der Kuppe ihres Zeigefingers. Sie wirkt ein bisschen nervös. So nervös wie eine Frau wirken kann, die über 20 Jahre die Vogue leitete, die egal wo sie ist, unter Beobachtung steht. Also könnte man sich auch nur einbilden, dass sie nervös ist. Doch Storck scheint für Arp fast wie Familie zu sein. Und Arp für Storck. Vielleicht erst jetzt, seit sie seit acht Monaten nicht mehr die Chefredakteurin der deutschen Vogue ist, darf sie so parteiisch sein. Heute Abend nach der Show wird sie sagen, dass Storck es wie kein anderer in Deutschland verstehe Mode zu machen, die emotional berühre.

Runway Bilder von Andreas Rentz für Getty Images

Fotografiert von Patrick Bienert

„Alle bitte noch mal die Hände waschen“, ruft eine Frau in schwarz gekleidet mit Headset am Kopf den Models und Assistent:innen im Backstagebereich zu. Sie koordiniert die Schau. Ein Mantel von René Storck kann um die 3000 Euro kosten. Wer sich ganz in Storck kleidet, trägt den Wert eines Kleinwagens auf der Haut. Die Stoffe der Kollektion, die er heute Abend vorstellt, sind fast ausschließlich aus natürlichen Materialien. Viel Kaschmir und Baumwolle zeigt Storck in seiner Kollektion, so glatt und die Verarbeitung so hochwertig schlicht – jeder Brotkrümel, jeder Fingerabdruck wäre darauf zu sehen.

Fotografiert von Patrick Bienert

Runway Bilder von Andreas Rentz für Getty Images

Modernen Luxus nennt Storck dieses zeitlose Design – in einer Qualität, das lässt sich sicher sagen, die seines gleichen sucht. Das ist Nachhaltigkeit für Storck. Storck ist niemand, der diesen Begriff überdimensional häufig benutzt, wie – so scheint es zumindest – fast der gesamte Rest der Modebranche. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Storck nicht erst an ihn glaubt, seit der Begriff in Mode ist, sondern das Prinzip der Nachhaltigkeit schon vor über 30 Jahren zur DNA seiner Mode machte: zeitloses Design, in hoher Qualität, lokal produziert. „Dass man die Welt immer weiter mit Zeug vollstopft, ohne zu wissen, was dann irgendwann damit passiert, das hat mich immer schon abgeschreckt“, kommentiert der Designer das kaum zu stillende Produktions- und Konsumkarussell der Modebranche aus immer mehr, mehr und mehr. Storck setzt hingegen auf wenig, wenig, wenig: wenig Farbe, wenig Prunk, wenige Stückzahlen.

Runway Bilder von Andreas Rentz für Getty Images

Fotografiert von Patrick Bienert

Kurz bevor die Show losgeht, so kurz davor, dass man schon hören kann, wie sich nebenan der Saal mit Gästen füllt, nimmt sich Storck noch mal Zeit für ein Fazit vorm Finale: „Ich erlebe mit meiner Arbeit ein Momentum“, sagt Storck. Vieles von dem, was Storcks Arbeit berührt, wird gerade neu verhandelt: die gesellschaftliche Rolle der Frau, Macht, Konsum. Über Jahre habe Storck von den Frauen gelernt, für die er Mode schneidert: „Die junge Generation von Frauen steht viel mehr für Solidarität untereinander als jemals zuvor, ich konnte das gerade in den letzten Tagen hier beobachten.“ Es gehe nicht darum, sich gegenseitig zu übertrumpfen, erklärt Storck, und: „Meine Kollektion zeigt ganz klar eine Haltung und ein neues Selbstbewusstsein, bei dem es eben nicht mehr so sehr um Abgrenzung und darum geht, besser zu sein als andere.“ Er wolle Frauen Sicherheit geben, gerade dann, wenn man die Vorgaben der klassischen Rollenverteilung verlässt. Viele dieser Frauen werden heute Abend im Publikum der Show sitzen. Storck hat vor allem seine Kundinnen eingeladen, die Frauen, von denen er lernte.

Die Frankfurter Börse als Set für Storcks Modenschau

Für seine Show hat er als Mitglied zusammen mit dem Fashion Council Germany einen Ort gewählt, der mühelos als architektonische Inkarnationen des Wettbewerbs und Übertrumpfen gelten könnte. Ein Ort, der immer noch sehr männlich geprägt ist: die Börse. Was bedeutet dieser Ort für Storck und wie passt er zu seiner Mode? Wer ihn das fragt, bekommt eine unerwartet revolutionäre Antwort: „Dieser Ort steht wie kein anderer für unser kapitalistisches Denken und wir sind gerade dabei, genau das zu hinterfragen: Wie weit gehen wir für wirtschaftlichen Erfolg und wann gehen wir in die Verantwortung – wie eben jetzt beim Thema Nachhaltigkeit?“ Ein kritischer Kurs, auf den mehr Leute seiner Branche setzen sollten. Arp würde mit Sicherheit investieren – immerhin ist es René Storck. Der Mann, der Mode macht, damit Frauen an sich glauben, muss heute Abend gespürt haben, wie es ist, wenn sie an einen glauben.