Same same but different

Der Hype um Secondhand ist einfach: Es kommt, was war.

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Für unsere 40. Ausgabe, produziert im Schwarzwald, haben wir eine neue Modegeschichte aus alten Geschichten erzählt: Eine Modestrecke nur mit Secondhandkleidung von Vestiaire Collective. 

Es kommt doch alles wieder. Mit der Mode und den Trends verhält es sich häufig wie mit dem berüchtigten Gedächtnis eines Fisches, der im Goldfischglas im Kreis schwimmt: Nach einer Zeit erscheint auch Altbekanntes wieder neu. Trends, die schon lange für tot erklärt wurden, tauchen nach Jahren oder Jahrzehnten wieder auf. Aber seit einiger Zeit kehren nicht mehr nur die Hypes um Kleidung wieder, sondern die Kleidungsstücke selbst. Die Mode feiert ihr Comeback, die schon längst ihre Hochs hatte, getragen und gewaschen wurde und Geschichten erzählt hat – es ist die Kleidung aus zweiter Hand. Das ist besonders beachtlich, denn eines der lautesten Versprechen, das die Mode liefert, ist eigentlich: neu, neu, neu. Was verspricht die neue alte Mode nun?

Gebrauchte Kleidung erzählt neue Geschichten

Der Hype um Secondhandmode ist einfach zu erklären: Es kommt, was war. Und das kommt gut an. Stand Secondhandkleidung in der Grunge-Musik-Ära der 90er noch für ein Anti-Mode-Statement, um sich klar von Trends abzugrenzen und Mode absichtlich günstig oder alt aussehen zu lassen, ist Secondhandmode 2020 im Mainstream angekommen. Fast ein Drittel der Deutschen kaufen regelmäßig Secondhandkleidung. Und die Zahlen steigen weltweit , denn der gesellschaftliche Anspruch an Mode ist wieder komplexer geworden. Früher war Mode mal ein Zeichen für Macht, Wohlstand und Beruf. In der jüngsten Vergangenheit stand sie im Wahn der Fast Fashion Industrie vor allem unter dem Paradigma von viel und günstig. Mode hat sich in dieser Hinsicht demokratisiert, das ist gut. Aber durch das „immer mehr, immer schneller und immer billiger“, ist nicht nur das Machtgefälle, sondern auch die Geschichte hinter der Kleidung verloren gegangen – und ihr Wert. Weil die Mode so günstig ist, wird sie viel gekauft, kurz oder gar nicht getragen und dann weggeschmissen. Mode ist zu einem Wegwerfprodukt geworden. Nicht so, wenn sie einfach weitergereicht oder verkauft wird.

Second hand clothes Feli on camping field

Brown coat with red graphic pattern, brown buttons on the side, lapel inspired detail along shoulder and gathered sleeves VIVIENNE WESTWOOD; Striped ribbed cardigan black, white and yellow PROENZA SCHOULER; Oversized black leather pants with pleats SAINT LAURENT (all pieces available at VESTIAIRECOLLECTIVE.COM).

Secondhand Mode Trend Defender Jeep

Off-white wool knit sweater with ribbed neckline and hems GUCCI; Red patterned mini dress ISABEL MARANT; Dark washed skinny fit denim pants SANDRO; Lace up boots with contrast stitching ANN DEMEULEMEESTER; Brown synthetic backpack with leather closures and chain detail BURBERRY (all pieces available at VESTIAIRECOLLECTIVE.COM).

Ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft

Die Geschichte, die die gebrauchte Kleidung erzählt, ist also auch eine der Nachhaltigkeit: Wie die Menschen dem Überfluss überdrüssig werden und den Wert von alter Kleidung wiedererkennen. Diese Überzeugungen zeigen sich vor allem im Kaufverhalten der Generation- Z- und der Millennial-Verbraucher. Sie setzen ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft. So hat Secondhandmode in den letzten Jahren tatsächlich ihr muffiges Image verloren und ist zum Status-Symbol einer neuen Generation geworden ¬– Thrifting gilt mittlerweile als Freizeitbeschäftigung.

Auf diese Entwicklung baut das Konzept von outofuseberlin, ein Vintage-Onlineshop, der mit großer Sorgfalt kuratiert ist und Secondhandkleidung durch das Internet zugänglicher machen soll: „Vintage ist zeitlos, wird nicht jede Saison aussortiert und erzählt zudem noch eine Geschichte“, sagen die Kuratoren Sissi Pohle und Patrick Scherzer.

Luxus statt Muff

Neben der Nachhaltigkeit stillt Secondhandmode aber noch ein weiteres Bedürfnis der Generation: den Individualismus. Was Mainstream ist, wird reizlos. Was einzigartig ist, wird erhoben. Doch damit ist Secondhandmode nicht nur bei der jungen Generation angekommen, sondern grundsätzlich auch bei den Menschen, die sich über ihre Kleidung identifizieren wollen – und vor allem in sie investieren können: im Luxussegment. Dabei geht es bei Secondhandkleidung mehr als nur um Geschmack, es geht um Wissen: Wer die richtigen Archiv-Stücke trägt, beweist Modekenntnis.

Dieses Modewissen unterscheidet zwischen Vintage und Secondhand: Denn Vintage Mode steht für das Inspirierende einer jeweiligen Zeit, das die Mode nachhaltig beeinflusst hat. Secondhandmode hingegen ist Kleidung, die erst vor kurzem aussortiert wurde und noch nicht Teil der Modegeschichte ist, wie Marie Blanchet, Head of Vintage bei Vestiaire Collective, im Interview mit der deutschen Vogue erklärt. Beides erlebt ein Comeback. Vor allem im Internet. Gebrauchte Kleidung lässt sich schon lange nicht mehr nur auf Flohmärkten oder in ausgewählten Boutiquen finden, sondern in gut kuratierten Onlineshops.

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If everyone wore a pre-loved outfit on Christmas Day, the CO2 emissions saved would be equivalent to taking 56 million cars off the road for a day. (Source: thredUP)

seconhandmode und umwelt nachhaltig

Fashion and forests, they are not that far apart. Smaller fashion companies already use raw materials like poplars to avoid importing cotton from the Global South.

Erfolge trotz Krise

Es ist genau diese Kombination aus Nachhaltigkeit, Individualität und E-Commerce, die den Markt der Secondhandkleidung florieren und den wirtschaftlichen Krisenzeiten durch die Corona-Pandemie trotzen lassen: „In meinen Augen ist das ein Symptom unserer instabilen Zeit. Wir verlassen uns auf das Altbekannte und wollen uns sicher fühlen – selbst in der Mode. Deshalb schauen wir in die Vergangenheit“, sagt Marie Blanchet.

Branchengewinner

Dies ließe auch die enormen Absatzzahlen von Vestiaire Collective erklären, dem Unternehmen, das längst zur größten Online-Plattform in der Secondhandbranche geworden ist und über 360 Mitarbeiter in Büros in Europa, den USA und Hongkong beschäftigt. „Wir wachsen jetzt sogar noch schneller als vor der Krise“, erklärt CEO Maximilian Bittner in einem Interview mit der Berliner Zeitung . Im Mai letzten Jahres hatte das Unternehmen jeden Tag Rekordzahlen. Auch bei outofuseberlin haben mehr Menschen Secondhandkleidung online gekauft, während der Einzelhandel wegen des Lockdowns schließen musste. Die Absätze sind jedoch gleichgeblieben: „Vintage-Käufe werden viel bewusster und konzentrierter getätigt als bei Neuwaren.“ Obwohl es also altbekannte Kleidungsstücke sind, stehen sie für einen neuen Zeitgeist: Same same but different.

Title image: Black body with low neckline and cross detail in the back ALAÏA; Knit hat in blurred, yellow and green stripes DIOR (pieces available at VESTIAIRECOLLECTIVE.COM).