Print ist Teil unserer Kultur

Jürgen Claussen über die Digitalisierung in der Mode

Stylist, Mode-Experte, Designer – Jürgen Claussen bewegt sich seit über 20 Jahren in der Fashionwelt. Mit uns spricht der Hamburger über den Wandel dieser Welt, die Digitalisierung der Fashion Weeks und darüber wie Tradition und Handwerk seiner Strickkollektion zu einem Alleinstellungsmerkmal verhilft.

Carmen Maiwald: Die Fashion Week findet nun seit fast einem Jahr digital statt, wie erlebst du die Shows und wie die Mode, die in dieser Zeit entsteht?

Jürgen Claussen: Die Zukunft der Modewochen ist aufgrund der Pandemie ungewiss geworden ­ – ­ aber auch schon davor gab es immer wieder Kritik, dass der Aufwand nicht mehr zeitgemäß sei. Jetzt konnten wir sehen, dass es tatsächlich ohne das physische Runway-Spektakel geht. Die Mailänder Modewochen für H/W 21/22 waren wirklich sehenswert, Brands wie Coach und Moschino, zuletzt Gucci, haben Filme gezeigt, die fast hollywoodreif waren – so einzigartig, spektakulär und aufwendig inszeniert. Die Präsentation von Alessandro Michele zum 100. Jubiläum von Gucci war für mich das iTüpfelchen. Mein Eindruck ist: Die kleinen Filme begeistern sogar Menschen, die sich sonst nicht für Mode interessieren. Insofern würde ich sagen, dass es absolut möglich ist, die Modewochen in Zukunft digital zu präsentieren.  Aber es tut mir leid, die Kollegen nicht mehr zu treffen, das aufgeregte Theater nicht mehr live zu erleben.

CM: Dass nun fast alle Events zu den Fashion Weeks ausschließlich digital stattfinden, führt natürlich auch dazu, dass mehr Menschen an ihnen teilnehmen können. Demokratisiert diese Entwicklung die Modewelt?

JC: Natürlich ist es gut, dass jeder die Möglichkeit hat, an den Schauen teilzunehmen – und jeder sich im Internet die Informationen holen kann, die ihn interessieren. Und zwar kostenlos. So kann die Gesellschaft auch von der kreativen Kraft der Mode profitieren – die nicht nur Seismograph für gesellschaftliche Strömungen ist, sondern auch etwas bewegt. Das finde ich sehr positiv.

CM: Wie hat sich der Modejournalismus mit der Digitalisierung verändert?

JC: Online und Print sind zwei verschiedene Paar Schuhe, die man zwar miteinander kombinieren kann, aber sie bleiben unterschiedlich. Sowohl was die Wahrnehmung als auch was die Nutzung betrifft. Online kann man viel mehr Leute erreichen, schnell und unkompliziert News verbreiten, viel aktueller auf Themen eingehen. Dafür leidet die Liebe zum Detail. Online wird lange nicht so viel Mühe und Geld investiert wie bei Printmagazinen – das merkt man auf verschiedenen Ebenen, an Sprachstil, Auswahl der Fotos, Layout.

CM: Wo bleibt der Online-Modejournalismus hinter Printmagazinen zurück?

JC: Mir persönlich fehlen die Fotostrecken am meisten. Qualitativ hochwertige Fotos, gut vorbereitet und kreativ inszeniert, die nicht nur Mode zeigen, sondern auch Geschichten erzählen. Ich habe selber viele betreut und gestylt, und ich kann wirklich sagen, dass die Bilder, die ich online sehe, nicht mithalten können. Print ist ein Teil unserer Kultur, ich finde es daher essentiell, dass Print bleibt. Und dass wird auch so sein! Das sinnliche Erleben, die ungeteilte Aufmerksamkeit, das Raustrennen eines Bildes, das einem gefällt – all das hat man nur bei Modestrecken in Printmagazinen.

CM: Du hast selber lange Zeit für Printmagazine als Moderedakteur gearbeitet, was hat sich in diesem Wandel für dich persönlich verändert?

JC: Ich habe als Assistent bei der Männer-Vogue angefangen, in der Zeit als Fotos noch entwickelt und Layouts noch geklebt wurden. Heute geht alles in Minutenschnelle per Klick, das sehe ich durchaus als großen Vorteil. Andererseits war es eine sehr prägende und tolle Zeit für mich. Doch das Rad lässt sich nicht zurückdrehen, wäre ja auch langweilig.

CM: Jetzt befasst du dich mit der Branche aus einer anderen Perspektive und hast ein eigenes Strick-Label gegründet, wie kam es dazu?

JC: Schon als Student habe ich während der Vorlesungen Norwegerpullover gestrickt – zwei pro Woche, und die dann verkauft. Als es vor drei Jahren wieder so einen Strickboom gab, bekam ich auch wieder Lust zu stricken. So begann das Ganze.

CM: Wie hast du es geschafft, aus dieser Idee ein Label zu entwickeln?

JC: Christiane Arp, damals noch Chefredakteurin der Vogue, hat mich mit meinen Entwürfen in den Vogue Salon eingeladen. Das war eine wichtige Bestätigung meiner Arbeit und ein großer Erfolg. Durch die Präsentation ist eine Mode-Agentur auf mich aufmerksam geworden – plötzlich hatte ich Aufträge von 200 Schals. Und nun ist eine ganze Kollektion mit Pullovern und Kissen daraus geworden. Ich hatte mir Gott sei Dank schon vorher Strickerinnen gesucht. So läuft es bis heute, die Damen gibt es immer noch, alles, was bisher von „Claussen“ produziert wurde, ist handgestrickt und Made in Germany. Ich denke, Werte wie Handwerk und Tradition sind gerade in den Zeiten des Wandels besonders wichtig für uns.

CM: Wo verkaufst du deine Kollektionen?

JC: Ich habe einen Onlineshop – dort verkaufe ich „on demand“ – es wird erst produziert, wenn das Stück geordert wurde. Das ist nachhaltig, denn nichts bleibt übrig. Aber ich bin dank meiner Agentur auch in guten Läden vertreten – in Deutschland, Österreich und der Schweiz.  Stationärer Einzelhandel und Onlineshops sind fast ein bisschen wie Print- und Onlinejournalismus: das eine ersetzt das andere nicht.