Ostblick #47

Svitlana Bevza

Seit der ersten Ausgabe von ACHTUNG hat sich unser Blick stets auch nach Osten gewandt. So ist diese Kolumne entstanden, die uns heute wichtiger als je zuvor erscheint. Als dieses Foto der ukrainischen Designerin Svitlana Bevza in den Straßen von Paris aufgenommen wurde, ist die Fashion Week im vollen Gange. Der Beginn des Krieges jährt sich zum zweiten Mal. Auf den Laufstegen sieht und hört man davon: nichts. Unsere stellvertretende Chefredakteurin Nicole Urbschat sprach mit Svitlana Bevza über surreale Momente, ihre ikonische Spikelet-Kollektion und die Erfahrung als Designerin während eines Krieges, der immer da ist – auch weit weg von zu Hause. 

The Ukrainian fashion scene was already very strong before the Russian attack with a beautiful edition of Vogue, fashion weeks in Kiev and recognizable faces like the stylist and now designer Julie Pelipas and brands like Anton Belinskiy. The senseless war has surprisingly not made them go under but made them even more resilient with Ukrainian fashion moments in New York, Paris or London. Most notable among those is Svitlana Bevza with her brand Bevza.

Neun Tage. Exakt neun Tage sind es, die zwischen dem 15. und 24. Februar 2022 liegen. Neun Tage, die das Leben von Svitlana Bevza von heute auf morgen verändert haben. Am 15. Februar präsentiert sie ihre Herbst/Winter-2022-Kollektion in New York. Am 24. Februar beginnt Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine. Zwei Jahre ist das nun her und fühlt sich genauso irrsinnig an wie am ersten Tag. „Es ist das 21. Jahrhundert. Die Ukraine liegt mitten in Europa. Unser Land wird täglich bombardiert“, erzählt Svitlana. Und doch wird der Krieg irgendwann zum Alltag. Der Ausnahmezustand zur Normalität. Auch für Svitlana, die mittlerweile mit ihren zwei Kindern in London wohnt (ihr Mann, ehemaliger Verkehrsminister, ist in der Ukraine geblieben) und aus ihrer Wohnung heraus ihr Atelier und die Produktion in Kyjiw am Leben erhält. „Wir telefonieren jeden Tag, ich schicke meine Skizzen. Aber das alles ist emotional schwer für mich. Der kreative Kollektionsprozess war mir immer am wichtigsten. Jetzt kann ich die Kollektion vorher nicht mal anfassen, bevor sie in New York gezeigt wird“. Für die Präsentation ihrer neuesten Kollektion wählte Svitlana im Februar dieses Jahres, in der sich das dringend benötige amerikanische Hilfspaket nur schwer seinen Weg durch den Kongress bahnt, einen symbolischen Ort: das Ukrainian Institute of America. „Ich wollte einfach zeigen, wie lange und tief die Verbundenheit der USA mit der Ukraine zurückreicht“, erklärt Svitlana. Das Institut, erhabene fünf Stockwerke, welche den Central Park und das Metropolitan Museum of Art überblicken, wurde 1948 von William Volodymyr Dzus gegründet, einem ukrainischen Einwanderer, der selbstsichernde Metallverschlüsse erfand, welche nicht nur die amerikanische Luftfahrt noch heute um einiges safer machen. 

Auch ihre Bevza-Kollektionen spielen nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine mit der Symbolik ihres Landes. „Das ist ein Teil von mir. Ich bin dort aufgewachsen. Das ist mein Land. Für mich fühlt sich das authentisch an. Warum soll ich mir irgendeine künstliche Inspiration suchen?,“ sagt sie und dass die Menschen doch gerade das schätzen würden, das wahre Gefühl, die echte Geschichte. So sind seit der Gründung ihres Label 2006 ihre modernen, minimalistischen Entwürfe durchdrungen von „Plakhta“-Röcken, inspiriert von den Röcken, die Frauen bei der Weizenernte tragen, oder Jacken mit weiten Ärmeln, die an die traditionelle „Sorochka“-Blusen erinnern. Ihre neueste Kollektion sei im Grunde „eine metaphorische Küche“ erklärt Svitlana. „Ich wollte zeigen, wie wichtig die Ukraine ist. Warum müssen wir die Ukraine unterstützen? Weil die Ukraine noch immer einen Großteil der Welt mit Getreide und Brot ernährt. Und wir den Preis dafür bezahlen.“ Mehr als dankbar sei sie für diese Unterstützung erklärt Svitlana, auch innerhalb der Modewelt, in der Einkäufer:innen ihre Order in den ersten schwierigen Saisons nicht gleich cancelten, sondern warteten und Marken wie Celine Stoffe für die Produktion spendeten. Die Verbindung vom Korn zum Brot zur Küche führte Svitlana in ihren Entwürfen für Herbst/Winter 2024 zu Schürzenkleidern, die sie in verschiedenen Formen und Materialien, darunter Seidentaft und veganem Leder, zeigte, während das traditionelle, geflochtene „Kosa“-Brotmuster zu einer Masche auf einer offenen Weste aus Grobstrick wurde. Das Faszinierende daran: Svitlanas Entwürfe wirken bei aller traditioneller Symbolik nie bedeutungsschwer und gar rückwärtsgewandt, sondern leicht, modern und ließen sich ganz selbstverständlich in die führende Riege der Minimal-Designer wie Toteme oder Tove einreihen. Allein den cremefarbenen, abgerundeten Puffärmel-Mantel oder einen Doubleface-Wollmantel mit Schalkragen, abgeleitet von der Silhouette der traditionellen „Kozhukh“-Schafsfellmäntel möchte man sofort durch die Straßen von Paris, New York oder Berlin führen.

In der ukrainischen Kultur ist das Weizenkorn übrigens seit jeher etwas Heiliges. Ein uraltes Zeichen für Fruchtbarkeit und Ernte und seit der Invasion der Russen nun auch ein Symbol für die Rolle des Landes als Kornkammer der Welt. Kein Land der Welt exportiert mehr Sonnenblumenöl als die Ukraine; und auch bei Weizen, Gerste, Mais und Raps zählt das Land zu den zehn größten Exporteuren. Seit dem Krieg ist der Verkauf der weizenförmigen Bevza-Schmuckstücke um 150 Prozent gestiegen und hat dazu beigetragen, Svitlanas Geschäft über Wasser zu halten. „Metaphorisch gesehen gibt Brot Leben und es gab unserem ganzen Team Leben. Es hat uns gerettet.“ Die erstmals 2019 eingeführten Ohrringe und Halsketten sind zu einem Symbol des Widerstands unter Ukrainern:innen und Frauen in der Diaspora geworden und ein Segen für die Marke, die mittlerweile ein Drittel des Umsatzes von Bevza ausmacht. Mittlerweile sind neben den Schmuckstücken eine Reihe von skulpturalen Lederhandtaschen mit Goldbeschlägen, die von den geometrischen Weizenähren inspiriert sind, sowie Schuhe mit Spikelet-Bügeln hinzugekommen. „Die Ährchen waren ein großer Anstoß. Mein Traum ist es, dass diese Stücke zum festen Bestandteil der Garderobe werden, so dass sich Bedeutung und Kreation vereinen. Und zu Klassikern, die man mit der Ukraine verbindet“, sagt sie. „Sie sollen eine Geschichte erzählen.“Und dann wäre da noch ihr Auftritt bei der Met Gala im Mai letzten Jahres. Auch so eine Geschichte. Als erste ukrainische Designerin auf dem roten Teppich, ein symbolischer Akt. Im April 2023 erhielt sie den Anruf des Balenciaga-Teams, das Demna Gvasalia sie einladen möchte. „Demna wollte einfach jemanden an seinem Tisch haben, der die Ukraine repräsentiert. Auch weil der Krieg in meinem Land bei ihm einen vergangenen Schmerz auslöste.“ Wie wohl kaum jemand in der Mode, die geprägt ist von bourgeoiser, west-eurozentrischer Macht, weiß Demna, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein. Und was Krieg und Zerstörung in einem ehemaligen Sowjetstaat bedeuten können. Als Zwölfjährige mussten er und sein Bruder 1993 selbst aus Georgien fliehen. „Darüber haben wir uns an diesem Abend dann auch unterhalten, diese Angst, diese Verzweiflung, das nirgends mehr zu Hause sein, dass man erfährt“, erzählt Svitlana. Und dass dieser Besuch auf der Met Gala für sie nicht nur eine persönliche Erfahrung war, sondern ein Zeichen der Solidarität mit ihrem Land. Am Ende, als sie sich von allen am Tisch verabschiedet, umarmt Demna Gvasalia sie und ruft: „Slawa Ukrajini“, Ruhm der Ukraine, der offizielle militärische Gruß der ukrainischen Streitkräfte. Im Januar war Svitlana das letzte Mal in Kyjiw. „Ich bin immer noch sehr stolz auf mein Land, meine Leute“, erzählt sie. Und dass es gegenüber von ihrem Atelier auf der anderen Seite ein Theater gibt. „Die Menschen gehen immer noch ins Theater.“ Als sie in ihrem Atelier saß, heulen die Sirenen auf. „Die Besucher:innen kamen heraus, warteten in den U-Bahn-Eingängen und gingen dann zurück zur nächsten Szene.“ 

Luft anhalten. Weitermachen. Das ist Alltag im Krieg.