„Musik ist die beste Droge“

Komponist Arash Safaian über Ekstase und die Mythen der Nachwelt

Komponist Arash Safaian

Arash Safaian ist ein erfolgreicher klassischer Komponist und lebt – das ist eine Revolution. Safaian spielt und schreibt gegen einen Mythos an: Klassische Musik muss tot sein, um gut zu sein. Mit seinem Klavierkonzert für den Film „Lara“ von Jan-Ole Gerster und mit Schauspieler Tom Schilling gewann Safaian den Bayerischen Filmpreis. Für Achtung komponierte er Musik zu unserem Mode-Kurzfilm „Kaltes Klares Wasser“ von Gregor Hohenberg und Oliver Ney.

Wenn ich gleich unser Gespräch aufschreibe, beginne ich auf einer leeren (Word-)Seite mit einem ersten Satz. Womit beginnst du eine Komposition? Steht am Anfang der Ton?

Der Anfang einer Komposition ist immer abstrakt, zuerst ist ein Gefühl da. Dann muss ich auf dem Klavier ganz viel ausprobieren, bis ich wie so eine Formulierung gefunden habe, die passt. Das kann eine Melodie sein, oft sind es aber auch nur ein paar Harmonien. Die ganze Komposition entwickelt sich daraus fast von selbst, das Stück wächst und verändert sich dann immer wieder. Aber so, wie ich es mir am Anfang im Kopf vorstelle, wird es eigentlich nie.

Ist das frustrierend – wie ein nie zu erreichendes Ideal, oder wird die Komposition am Ende meist besser als das, was du im Kopf hattest?

Ich finde es total gut, dass ich das nicht vorausschauen kann, sonst wäre es wahnsinnig langweilig. Alles, was ich komponiere, muss mich glücklich machen, ansonsten schreibe ich es gar nicht hin. Das muss von einem Glücksmoment zu dem anderen gehen. Das heißt jetzt nicht, dass die Musik immer glücklich ist, aber es muss mich erfüllen und für mich wahr sein.

Du hast nicht nur eine Leidenschaft für die Musik, sondern sie als Komponist auch zu deinem Beruf gemacht – wie bist du zur Musik gekommen?

Meine Eltern sind Künstler und klassische Musik hat immer eine Rolle gespielt, wir haben zu Hause viel Musik gehört – aber nicht nur klassische Musik, sondern alles Mögliche. Irgendwann wollte ich Klavierspielen lernen und habe Klavierunterricht genommen. Da habe ich vor allem Klavierstücke von Bach und Beethoven und so gelernt. Aber ich hatte nie Lust, nach Noten zu spielen und wollte eigentlich immer schon mein eigenes Zeug machen.

Komponist Arash Safaian

Arash konnte sich lange nicht entscheiden, ob er Komponist oder Künstler werden will. Also studierte er erst an der Kunstakademie in Nürnberg, die er dann für die Hochschule in München verließ, um Komposition zu studieren.

Der Schatz des Schulchsees

Der Wind, den man in der Musik zum Video „Kaltes Klares Wasser“ hört, ist nicht aufgenommen, sondern ist das Hörbare Ausatmen der Bläser in ich Blechinstrumente.

Du warst von Beethoven geprägt, hast dich in deinem letzten Album „This Is (Not) Beethoven“ mit ihm auseinandergesetzt, wieso Beethoven?
Es gibt ein Musikgeschäft in Teheran, in dem ich als Kind öfter war, das Beethoven heißt und sein Gesicht als Logo hatte. Ich kann mich nur sehr rudimentär daran erinnern, wie das Geschäft in Teheran war, ich bin ja mit vier Jahren nach Deutschland gekommen. Aber ich weiß noch, dass es immer so Kassettenhüllen gab, wo das Gesicht von Beethoven drauf war. Mein Vater hat außerdem immer gern Beethoven gehört. Als ich klein war, hat Beethoven eine große Rolle gespielt, aber später immer weniger.

Da geht es dir wahrscheinliche wie vielen Menschen heute. Die Verkaufszahlen sprechen für sich: Rock und Pop steht immer noch an oberster Stelle, während Klassische Musik ganz weit unten aufgezählt wird bei den beliebtesten Musikgenres. Wer hört heute überhaupt noch klassische Musik?

Jüngere Leute hören tatsächlich wieder mehr klassische Musik, vor allem Neoklassik. Das ist für mich eigentlich Popmusik, aber eben mit klassischen Instrumenten. Diese Bewegung wird oft kritisiert, ich finde sie aber sehr wichtig. Denn eine gewisse Breite der Gesellschaft entdeckt so aktuell Musik mit klassischem Instrumentarium wieder für sich. Damit sich das weiterentwickelt, brauchen wir mehr Musik aller Art,  aber vor allem von lebenden Komponisten.

Du meinst also um klassische Musik wieder relevant zu machen, braucht es Komponisten und Komponistinnen, mit denen sich die Zuhörer identifizieren können, erst mal damit angefangen, dass sie überhaupt noch leben?

Genau, ist ja auch klar, dass man eher angesprochen wird von jemanden, der in der eigenen Zeit lebt, als jemand, der vor 250 Jahren gestorben ist. In der Klassik hat man immer so eine bestimmte Vorstellung: Qualitative klassische Musik muss immer tot sein, also von Komponisten geschrieben sein, die bereits tot sind. Das alleine trägt meiner Meinung nach nicht mehr in der Zukunft. Man muss bedenken, dass man zu Zeiten von Mozart, Beethoven und Brahms viel moderner war als heute. Damals wurde selten Altes gespielt, aber im heutigen Konzertleben der klassischen Musik ist das die Regel. Heute ist man akademischer als damals.

Komponist Arash Safaian

Für das Klavierkonzert zum Film „Lara“ musste sich Arash in die Rolle des Protagonisten versetzen und sich fragen: Wie würde ein Klavierkonzert klingen, dass dieser Junge komponiert? Geholfen haben ihn dabei auch die Treffen mit dem Schauspieler Tom Schilling, der die Hauptrolle im Film verkörpert.

Wieso hat klassische Musik so einen akademischen Stempel?

Weil es akademisiert wurde. Klassische Musik ist wie die meisten Künste schwierig zu erlernen, du musst viel üben und du musst dafür in die Musikhochschule. Und alles, was akademisch wird, verfestigt sich mit der Zeit und läuft Gefahr unkreativ zu werden. In dem Moment, wo dir jemand sagt, wie etwas zu sein hat, ist es schon viel weniger neu und weniger kreativ. Du lernst Mozart und Beethoven zu spielen und da ist jemand, der sagt dir ganz genau wie das gespielt werden muss. Das kann sich verfestigten und man muss aufpassen, nicht nur darin besser zu werden, die Regeln einzuhalten. Dadurch kannst du zu einem Perfektionisten im Einhalten von Regeln werden. Umso weniger eigener Ausdruck, umso schwächer der Dialog mit den Menschen über die Musik.

Du hast eine Oper komponiert, zum 50. Todestag von Benno Ohnesorg. Die spielt vor dem Hintergrund der Anti-Schah-Demonstrationen in Berlin, bei denen der Student Ohnesorg erschossen wurde. Wie politisch ist Musik für dich?

Das war eine Oper, eine Oper kann politisch sein, weil der Text politisch ist. Musik kann meiner Meinung nach aus sich heraus nicht politisch sein. Musik basiert nicht auf konkreten Aussagen, Musik ist diesbezüglich immer unkonkret. Aber Musik kann eben politisch gemacht werden, indem man sie für etwas nutzt. Das einzig Politische an der Musik ist vielleicht ihre Empathiefähigkeit. Musik ist etwas, was besser als alle anderen Mittel den Menschen direkt emotionalisieren kann.

Komponist Arash im Interview Maike am Angeln im Schwarzwald

Structured brown leather jacket with notched lapel, front flaps and statement oversized square shaped front pockets and wide black leather belt with silver colored hardware SAINT LAURENT BY ANTHONY VACCARELLO; Long sleeved nude colored top with wide turtleneck AKRIS; Patterned wool midi skirt in beige MICHAEL KORS COLLECTION.

Was meinst du mit der Empathiefähigkeit der Musik?

Wenn du ein Stück hörst, das dir gefällt, dann kann dich diese Musik in einen anderen Zustand bewegen. So nutzt man ja auch Musik. Wenn man sich gut fühlt und eine Party feiern will, dann sucht man sich nicht ganz traurige Musik, die einen runterzieht, sondern Musik, die einen aufputscht. Man verwendet Musik, um sich selbst zu stimulieren und das ist eine Qualität, die nichts anderes hat auf dieser Welt, vielleicht noch Drogen. Ich glaube nicht mal menschlicher Kontakt kann das so direkt herstellen wie Musik. Deshalb ist Musik für mich die beste Droge, wenn man so will. Das ist ihre Qualität und ich glaube, in unserer Zeit ist es schon politisch, wenn man Musik macht, die emotional ist.

Emotionalität ist für dich politisch?

Ich glaube einfach, dass Menschen in unserer Zeit mehr Emotionalität brauchen, jetzt auch mit Corona, wo die Welt immer gefährlicher und unkalkulierbar erscheint, ist Musik ein Mittel, um sich selbst zu spüren, zu reflektieren und auch vielleicht in andere Zustände und Welten zu bewegen.

Ja, Musik kann und muss gerade viel auffangen und ersetzen: Reisen, Treffen mit Freunden, Momente der Ekstase oder Losegelassenheit…

Total und das ist auch die Qualität von Musik, da merkt man auch, was sie für eine Kraft hat. Musik kann einen sofort in eine Erinnerung versetzen, wie wenn man so ein altes Fotoalbum aufmacht. Und man sieht Bilder von der Kindheit oder Menschen, die man kennt.

Welche Musik verbindest du mit einer bestimmten Erinnerung?

Gestern Abend habe ich den Bolero im Fernsehen gehört und das ist so ein seltsames Stück, ich habe das früher als Kind sehr, sehr oft gehört. Und das erinnert mich so wahnsinnig an Sommer und an die Leichtigkeit. Das ist so ein wundervolles, schönes und leichtes Stück und dann wird es am Ende so dramatisch und bleibt dabei trotzdem immer hell. Und es ist klassische Musik, aber die Melodie klingt irgendwie so, wie wenn sie fremd wäre, wie aus Indien oder aus Indonesien. Immer wenn ich das höre, hört es sich anders an, aber es fühlt sich immer an wie eine Erinnerung.