
WILLY CHAVARRIA Herbst/Winter 2025; WALES BONNER Herbst/Winter 2025
Im Augenblick #49
Erbstreitereien
It feels like the entire world will have a permanent headache caused by the new American president. Tariffs and anti-DEI politics have entered the picture. Thank the lord the last ten years were well used by a new generation of designers who put their money where their mouth is, meaning using their ethnic roots as inspiration for their fashion designs and building strong communities. The anti-cultural appropriation faction is led by Grace Wales Bonner and Willy Chavarria.
Echt jetzt? Schon wieder ein Text über kulturelle Aneignung? Warum das notwendig ist, dafür muss man nur einmal die aktuellen Schlagzeilen anschauen. Von Olaf Scholz’ „Hofnarr“-Kommentar für einen Schwarzen Kultursenator bis hin zur Abschaffung des DEI-Programms (Diversity, Equality, Inclusion) durch Donald Trump, scheint da gerade irgendwas schief zu laufen. Gut, dass es da in der Mode einige unabhängige Designer:innen gibt, die für mehr Sichtbarkeit sorgen. Große Luxusmarken natürlich ausgeschlossen.




Diese wurden nämlich 1846 erstmals in den Niederlanden produziert, kommen ursprünglich aus der niederländischen Kolonie Indonesiens (bunt bedruckter Batikstoff) und wurden von den Niederländern mit afrikanischen Elementen versehen, um sie dann nach Afrika zu exportieren. Alles nicht so einfach mit der Kultur. Und mit dem kulturellen Austausch erst recht nicht. Scheint dieser doch fast nie auf Augenhöhe stattzufinden, sondern ist stets von Ungleichheit geprägt. Um dagegen anzugehen, muss man allerdings gegen Rassismus ankämpfen. So sehr es auch ein Fortschritt ist, dass die Mode immer sensibler für das Phänomen der kulturellen Aneignung wird, der Stachel sitzt tiefer. Schaut man sich nur einmal die Chefetagen der größten Modehäuser an, dann ist es mit der Sichtbarkeit von und dem Austausch mit nicht-weißen, nicht-eurozentrischen Kulturen, Lebensweisen, Haltungen in der Mode, sagen wir mal so: schwierig. „Male, pale and out of step“ titelte der britische Guardian 2023 und listete auf den Chefposten der vorherrschenden Luxusmarken seit Beginn der modernen Modeindustrie gerade mal fünf – passenderweise – Männer auf: Pharell Williams, Maximilian Davis, Virgil Abloh, Olivier Rousteing, Ozwald Boateng, mehr nicht. Gut, dass es da zumindest einige unabhängige Designer:innen gibt, die dafür sorgen, dass verstärkt andere Stimmen laut werden, wie Bianca Saunders, Priya Ahluwalia, Telfar Clemens oder eben die britisch-jamaikanische Designerin Grace Wales Bonner. Eine Lebensaufgabe, wie sie selbst gern betont und dass hierfür vor allem eins wichtig sei: Unabhängigkeit, um „aus einer Schwarzen kulturellen Perspektive“ eine Luxusmarke zu schaffen.


Ihre stark referenzierten Kollektionen begleitet die 35-Jährige übrigens gerne mit Inspirations-Heften und einer Liste von Referenzen, die eher an eine akademische Abhandlung als an eine Pressemitteilung erinnern. Für ihre Abschlusskollektion am Central Saint Martins reichte sie gar freiwillig eine 10.000 Wörter lange Dissertation mit dem Titel Black on Black ein, um die Identitätspolitik Schwarzer Kreativer und Denker:innen zu untersuchen und ihre eigene Arbeit zu untermauern. Weit entfernt also von einer rein oberflächlichen Aneignung symbolischer Identität, stattdessen feiert Wales Bonner Schwarze Kultur in ihrer vollen Tiefe. Auch der Amerikaner Willy Chavarria mit mexikanisch-irischen Wurzeln, aufgewachsen im Central Valley, Kalifornien, einer Region, in der die lateinamerikanischen Einwander:innen das Rückgrat der Landwirtschaft bilden, webt seine Verbindung zur lateinamerikanischen und Chicano-Community in seine Entwürfe ein. Chicano, so werden die in den USA lebenden Mexikaner:innen und ihre Nachfahren bezeichnet, deren Subkultur Chavarria seit der Gründung seines Labels 2015 erforscht und dessen Schönheit er enthüllt. Im Zentrum seiner Kollektionen: der zoot suit, ein Anzug mit breiten Schultern und hochgezogener, an den Beinen eng zulaufender Hose, der in den 1930er- und 1940er-Jahren aufkam. „Viele verbinden ihn mit Gangsterkultur, doch die mexikanisch-amerikanische Bevölkerung war damals größtenteils arm, weil sie nicht die gleichen Privilegien wie europäische Einwander:innen erhielt. Es gab dieses Gefühl des Verlusts von Raum“, erklärte Chavarria dem Perfect Magazine in einem Interview „die Looks, die diese Männer kreierten, waren äußerst voluminös und nahmen im Gegenzug viel Platz ein.“


Die Shows, die Auswahl der Models, die Kampagnen – sind allesamt eine Hommage an seine Community. Für Chavarria liefen schon ein honduranischer Lieferfahrer, eine junge Trans-Frau oder der kolumbianische Megastar J Balvin über den Laufsteg. Eine Diversität, wie man sie bei den großen amerikanischen und europäischen Marken vermisst, bei denen hier und da mal ein Model nicht-weißer, Trans- oder non-binärer Identität wie ein Zuckerhäubchen eingestreut wird, weil man das „jetzt halt so macht“. Dazu spielt, um das Bild komplett zu machen, bei Chavarrias América-Show (SS25) im Hintergrund das amerikanisch-mexikanische Trio Yahritza y Su Esencia. Und der Designer himself? Verbeugt sich in einem Shirt der American Civil Liberties Union (ACLU), einer Organisation, welche die Rechte und Freiheiten bewahrt, die allen Menschen durch die US-Verfassung garantiert werden. Als Designer versucht er, das Erscheinungsbild des Landes neu zu definieren. Das ist kein Trend – das ist eine Transformation. Nicht ein Strickmuster, eine Frisur, eine Idee, die sich in der nächsten Saison schnell wieder verflüchtigt, sondern sowohl bei Wales Bonner als auch Chavarria Teil ihres Lebens, ihrer Realität – ein Archiv von Erfahrungen. Ihre Heritage, ihre Community, ihre Symbole. Erst dann tönt das alles nicht nach Inspirationsreise oder Marketingstrategie. Es klingt eher beruhigend. Weil dies der Moment ist, in dem Mode zu etwas Echtem wird, weil sie persönlich sein muss, um heute überhaupt noch authentisch und damit relevant zu sein. Übrigens, sowohl Wales Bonner als auch Chavarria haben mehrfach verkündet, wie sehr sie sich einen Posten in einem europäischen Modehaus vorstellen könnten. So lange aber in diesen der Eurozentrismus ähnlich dogmatisch regiert wie Trump in seinem Oval Office, ist das wohl (noch) ausgeschlossen.
Willy Chavarria F/W 2025 “Tarantula”
