„Ich will die kreativen Ressourcen Afrikas in die Welt bringen“

Charlotte Ashamu über Ungleichheit und Chancen in der Modebranche

Es gibt für die Geschichte, die Charlotte Ashamu zu ihrem Beruf gemacht hat, keinen richtigen Anfang. Sie könnte in Nigeria beginnen. Oder mit der kolonialen Besetzung von Tansania, Burundi und Ruanda durch Deutschland. Die Geschichte von Ungleichheit durch Kolonialismus hat ihren Anfang an vielen Orten. Charlotte Ashamu, geboren in Nigeria, ist auf zwei verschiedenen Kontinenten aufgewachsen, hat bereits in unzähligen Ländern gelebt und gearbeitet. Eines nahm sie überall um sich herum wahr: wirtschaftliche Ungleichheit und die Möglichkeiten, diese zu lösen. Mit ihrem Unternehmen Dabira unterstützt Charlotte Ashamu junge afrikanische Künstler und Designer und will ihnen helfen, ihre Unternehmen aufzubauen und autark zu leben. Nebenbei bekämpft sie damit die großen Ungerechtigkeiten, die stets tief in die Mode eingewebt sind: ungleiche Chancen, kulturelle Aneignung, verschlossene Marktzugänge und rassistische Stereotype.

Lederwaren aus dem Senegal: Studio Wudé.

Carmen Maiwald: In einem Interview hast du mal gesagt, dass du schon als Kind Ungerechtigkeit und Ungleichheit beobachtet hast und dich dafür interessiert hast. Wie hast du sie bemerkt?

Charlotte Ashamu: Ich bin in Lagos, Nigeria, in einem Familienbetrieb aufgewachsen. Mein Vater und Großvater besaßen in den 1980er Jahren einen der größten Geflügelbetriebe des Landes. In einem Familienbetrieb in Nigeria, einem sogenannten Entwicklungsland aufzuwachsen, hat mir bewusst gemacht, was Wirtschaft eigentlich bedeutet und zu welchen Ressourcen Menschen Zugang haben und zu welchen nicht. Ich denke, als Kind hat man keine Erklärung dafür, warum es Ungleichheit auf der Welt gibt, aber man fängt an, Beobachtungen zu machen und Fragen zu stellen. Mit diesen Bildern im Kopf zog ich in den frühen 1990er-Jahren in die Vereinigten Staaten und sah einen großen Unterschied: Zu welchen Dienstleistungen die Menschen Zugang hatten. Ich sah die Armut in den Vereinigten Staaten, aber ich sah auch Chancen. Und so wollte ich immer schon verstehen, warum es diese Ungleichheit gibt. Denn ich wusste, dass dies nicht zufällig passiert, dass es Gründe und Entscheidungen gibt, die zu diesen Unterschieden führen.

CM: Beeinflusst diese Frage der Ungleichheit auch heute noch deine Arbeit?

CA: Es gibt eine Menge Wege, um Ungleichheit zu bekämpfen. Manche Menschen engagieren sich in Wohltätigkeitsorganisationen oder Stiftungen, andere gehen in die Politik, aber ich glaube, einer der effektivsten Wege, Ungleichheit zu bekämpfen, ist, Menschen Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen zu verschaffen. Indem man sie dabei unterstützt, kleine Unternehmen zu gründen und selbstständig Wohlstand aufzubauen, statt Abhängigkeiten.

CM: In deiner Arbeit fokussierst du dich besonders auf von Frauen gegründeten Unternehmen, wieso hast du dich dazu entschlossen dich auf Frauen und junge Gründer zu konzentrieren?

CA: Schon als Kind habe ich Frauen in Unternehmen und Büros kennengelernt oder Frauen auf den Märkten als Händlerinnen gesehen – sie alle haben einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Im afrikanischen Kontext sind einige der kreativsten Geschäftsinhaber Frauen und junge Menschen, das sind die zwei Gruppen, die ich mit meiner Arbeit unterstützten möchte. Denn sie sind weitgehend vom Zugang zu Ressourcen ausgeschlossen und brauchen Hilfe, ihre Geschäfte zu entwickeln. Dabei haben Frauen in ganz Afrika eine lange Tradition als Unternehmerinnen in Wirtschaft und Handel.

Designerin Lethabo Moraka

Lifestyle Marke MorakaInteriors: Handwerk aus Südafrika.

CM: Was vielen Menschen in Europa auch gar nicht bewusst ist: Nigeria ist eine Start-up-Nation. Welche Strukturen im Land sind der Grund für diese aktive Start-up-Szene?

CA: Einer der wichtigsten Faktoren ist die Chance, die die Menschen in der Selbstständigkeit sehen. In Nigeria ist die Regierung nicht in der Lage, die Anzahl an Arbeitsplätzen und die Bandbreite an Möglichkeiten zu bieten, die eine wachsende Bevölkerung braucht. Und wo immer den Menschen Chancen fehlen, haben sie keine andere Möglichkeit, als sie selbst zu schaffen. Ein anderer Grund ist der nationale Charakter Nigerias: Der ist größtenteils ein unternehmerischer, einer, der sehr kreativ und erfinderisch ist. Wir leben in einer sehr herausfordernden Umgebung und dazu gehört auch die Fähigkeit, einfallsreich zu sein und unternehmerisch zu handeln.

CM: Du hast 2020 auch dein eigenes Unternehmen gegründet, Dabira, was ist die Mission deines Unternehmens?

CA: Ich will Afrikas unglaubliche Kreativindustrie weiterentwickeln und fördern. Dafür arbeite ich mit Unternehmern in kreativen Bereichen von bildender Kunst über Design bis hin zu Mode zusammen. Mir geht es auch darum, die kreativen Ressourcen Afrikas in die Welt zu bringen.

CM: Siehst du besondere Chancen und auch Schwierigkeiten im Kreativmarkt Nigerias oder auch in anderen afrikanischen Ländern, in denen du gelebt hast?

CA: Es gibt eine Reihe von Herausforderungen, die nicht unbedingt nur für die Kreativbranche gelten, sondern für viele verschiedene Branchen in Afrika. Eine der drei größten Schwierigkeiten ist, dass es wenig finanzielle Unterstützung oder Schulungen für Unternehmer gibt. Der zweite Punkt ist der Zugang zum Markt. Zu Beginn dieses Jahres war eine der größten Neuigkeiten in Afrika ein kontinentales Freihandelsabkommen. Sowas wie die Europäische Union, nur für Afrika. Das senkt die Kosten für den Handel zwischen den afrikanischen Ländern und erleichtert den Zugang zu verschiedenen Märkten für die Unternehmer. Die dritte Herausforderung ist der Schutz des geistigen Eigentums. Die internationalen Eigentumsrechte sind sehr schwach, in einigen Ländern werden Verstöße gar nicht geahndet. Das macht es kreativen Unternehmern wahnsinnig schwer, ihr geistiges Eigentum zu schützen.

CM: Und welche Chancen siehst du auf den Kreativmärkten der afrikanischen Länder, in denen du gelebt oder gearbeitet hast?

CA: Die größte Chance liegt in der Einzigartigkeit und Kreativität der afrikanischen Design- und Kreativtalente. Das sind die Art von Talenten, die die Welt oft übersieht, weil sie, wenn sie an Afrika denken, diese stereotypischen Bilder von Armut und Zerstörung im Kopf haben. Viele Menschen vernachlässigen oder erkennen nicht, dass all die Kreativität, die aus Afrika kommt, die globale Modeindustrie tatsächlich inspiriert hat. Es gibt viele europäische Modedesigner, die Design aus Afrika für ihre Kollektionen „geliehen“ oder sogar gestohlen haben.

Nigerianisches Haute Couture Label Odio Mimonet

Modedesignerin Odio Oseni

CM: Kulturelle Aneignung ist ein Thema, das hier in Deutschland nur sehr schleppend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit vordringt. Welche Erfahrungen machen die Künstlerinnen und Designerinnen, die du betreust?

CA: Es ist ein großes Problem, sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene. Global gesehen gibt es im Moment ein größeres Bewusstsein. Besonders im letzten Jahr mit der Dynamik von Black Lives Matter wurde ein Rampenlicht auf die Modeindustrie geworfen wie nie zuvor. In einem Land wie Nigeria oder in Ghana, wo ich auch gelebt habe, ist die Frustration der Designer groß, wenn sie ein neues Design auf den Markt bringen, das schnell kopiert wird. Um das zu lösen, brauchen wir einen stärkeren rechtlichen Schutz. Es muss auch in die Designausbildung und -schulung investiert werden. Es gibt viel Kreativität und Innovation, aber die eigentliche Fähigkeit, die man braucht, um ein Produkt zu entwickeln und zu gestalten, wird im Bildungssystem kaum gefördert.

CM: In Deutschland wurde in diesem Kontext auch die Debatte um Raubkunst mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Nicht zuletzt aufgrund der geplanten Ausstellung der Benin-Bronzen, Raubgut aus Kolonialzeiten, im neu eröffnetem Berliner Humboldt Forum. Du hast eine Zeit im National Museum of African Art in Washington als stellvertretende Direktorin für Förderung und externe Angelegenheiten gearbeitet. Wie beeinflusste das Thema Raubkunst und die Folgen des Kolonialismus deine Arbeit dort?

CA: Das Thema war ständig präsent und ich habe mich damit immer sehr unwohl gefühlt, weil ich das Gefühl hatte, dass es in der Diskussion hauptsächlich darum ging, dass Museen in Afrika nicht die Möglichkeit hätten, sich um die Kunstwerke zu kümmern, die gestohlen wurden und zurückgegeben werden müssen. Einer der Gründe, warum ich mein Unternehmen gründen wollte, war, dass ich an dieser Lösung arbeiten wollte. Ich entwickle jetzt zusammen mit der Yale-Universität ein Programm, um afrikanischen Museen und Kultureinrichtungen dabei zu unterstützen, ihre Kapazitäten aufzubauen. Wir stellen fest, dass es unglaubliche Museen überall in Afrika gibt, die die Fähigkeit haben, Weltklasse Institutionen zu werden. Ich bin froh, dass wir endlich anfangen, das Gespräch von dem, was in Afrika fehlt, auf das zu lenken, was möglich ist.

CM: Wie hat sich die Pandemie auf deine Geschäft und Pläne ausgewirkt?

CA: COVID-19 hatte einen großen Einfluss auf die kleinen Unternehmen in unserer Community. Unsere jährlichen Veranstaltungen oder Einzelhandels-Pop-up-Märkte konnten nicht stattfinden. Wir bieten derzeit vierteljährlich „digitale Kurationen“ und Programme mit unseren Designern und Künstlern an. Unser neuestes Programm wird in der ersten Maiwoche auf unserer Website starten. Wir hoffen, dass wir unsere Veranstaltungen bis Ende 2021 in verschiedenen globalen Städten wieder aufnehmen können und hoffen auf eine Veranstaltung in Deutschland.

Unternehmerin Charlotte Ashamu