Haute Couture im Glas

WEIN - Wie wird der 20er?

Zwei junge Winzer machen von sich reden. Mit Weinen aus Baden, die an die Côte d’Or erinnern.

Von Meursault nach Staufen sind es mit dem Auto zweieinhalb Stunden. Im Mittelalter gingen die  Cluniazenser Mönche diese Strecke zu Fuß: durch die Burgundische Pforte zwischen Vogesen und Jura, über den Rhein bei Ottmarsheim, in die anliegenden Schwarzwaldtäler, wo sie Filialklöster in Bollschweil, Sölden und St.Ulrich gründeten. Seit den Römern gab es hier Wein, doch erst die Mönche aus Cluny und Cîteaux machten aus Lagen, Reben und Kellertechnik eine Wissenschaft.

Ich bin verabredet mit Alexander Götze und Christoph Wolber. Vor wenigen Jahren haben sie das Weingut Wasenhaus in Staufen südlich von Freiburg im Breisgau gegründet. Anfangs raunten sich nur wenige Eingeweihte den Namen zu, heute findet man die Weine von Wasenhaus an angesagten Plätzen in New York, London, Kopenhagen, Wien oder Paris. Letzteres ist traditionell ein schwieriges Pflaster für deutschen Wein. Aber ist Wasenhaus wirklich ein deutscher Wein?

Dafür müssen wir etwas ausholen. Alexander und Christoph lernten sich im Burgund kennen. Der eine, aus Brandenburg, kam zum ersten Mal in Sachsen mit Wein in Berührung. Der angehende Landschaftsarchitekt suchte einen Studentenjob und fand ihn bei Martin Schwarz in Meissen. Der Wein ließ ihn nicht los, er ging nach Montalcino (Pian dell’Orino) und landete schließlich bei Pierre Morey in Meursault, früher Kellermeister bei Leflaive und längst aus eigenem Recht einer der großen Meister der Côte de Beaune. Der andere, aus Staufen, war von einer Flasche Meursault so begeistert, dass er sich spontan aufs Motorrad setzte, um beim Produzenten, dem Garagenwinzer und Fotografen Bernard van Berg als Praktikant anzuheuern.

Aus einem Spleen wurde Leidenschaft, von Morey und van Berg ging es zu den Domänen Comte Armand, Leflaive und de Montille. Dazu die Weinbauschule in Beaune. Viel besser geht es nicht. Deutsche Weinbauschulen haben sie nicht besucht. Sie wollen sich selbstständig machen, ein eigenes Weingut gründen, um ihre Ideen noch besser verwirklichen zu können. Christoph kommt aus Baden, Alexander aus Brandenburg. Die Wahl fällt schnell auf Baden… Sie suchen nach geeigneten Flächen und sie werden fündig. Henrik Möbitz, Chemiker, Mikrowinzer und Qualitätsfanatiker, überlässt ihnen seine kalkreichen Südost-Lagen des Köpfle und der Kanzel am Ehrenstetter Ölberg; von Achim  Jänisch übernehmen sie Reben im benachbarten Kirchhofen; dazu kommen Lagen in Staufen am Schlossberg und am Roten Berg; sie schließen Verträge mit Gleichgesinnten am Kaiserstuhl, in Eichstetten und Achkarren, wo sie die Arbeit im Rebberg überwachen und Trauben kaufen. Christoph wechselt sofort, Alexander pendelt zunächst zwischen Volnay und Staufen, bis auch er sich mit seiner jungen Familie in Staufen niederlässt.

Ich treffe Alexander und Christoph am Ehrenstetter Ölberg, es ist Anfang April, der Frühling ist in voller Pracht, das Thermometer misst über 20 Grad. Der Blick geht von der kleinen Kapelle über die Hügellandschaft zum Kegel des Staufener Schlossbergs. Im Wald sind blühende Kirschbäume auszumachen. Ganz oben die Kuppe des Belchen. Sie ist noch mit Schnee bedeckt. Es ist eine Renaissancelandschaft wie aus dem Bilderbuch. Der Hintergrund für eine spätgotische Madonna. Der Kunstschriftsteller Wilhelm Hausenstein wollte „Konrad Witz sein für ein Jahr, um … dies Land zu meinen Füßen mit seinen Augen“ zu malen, „denn für seine Augen ist diese Landschaft geschaffen.“ Wir besichtigen die Rebanlagen. Eine kleine Parzelle ist neu mit Chardonnay bestockt. Der Boden wäre auch für Pinot Noir ideal gewesen, „der Boden von Pommard“, aber die Bäume sind zu nah, es fällt zu viel Schatten auf das Grundstück. Es kommt auf jedes Detail an, wenn man Herausragendes schaffen möchte.

Peter Reuss: Wie wird der 20er?

Alexander Götze und Christoph Wolber: 2020 ist vergleichbar mit 2018. Ein heißer, trockener Sommer. Wenig Ertrag. Wir konnten schon Ende August mit der Ernte beginnen und hatten sie bis Mitte September eingebracht. Der Pinot Noir war in perfekter Reife. Dabei geht es weniger um den Öchslegrad, der nur die Zuckermenge und den potenziellen Alkoholgehalt widerspiegelt, sondern um die phenolische Reife der Trauben. 2020 konnten wir gesunde Trauben ernten, die reif, aber nicht überreif waren und die alles Potenzial für einen wirklich großen Wein mit schöner Tanninstruktur haben. Bei den weißen Rebsorten kam es darauf an, den genauen Erntezeitpunkt herauszufinden, um Reife und Frische in Einklang zu bringen. 

PR: Brachte die Hitze die Reben in Trockenstress?

AG und CW: Nein, bei uns zum Glück nicht. Die Nähe zum Schwarzwald bringt auch in einem heißen Jahr abendliche Gewitter und der Lehm-Kalk-Boden hält die Feuchtigkeit.

PR: Zwingt der Klimawandel zur Einführung neuer Rebsorten?

AG und CW: Der Pinot Noir findet in Baden ausgesprochen gute und immer bessere Bedingungen vor. Die wärmeren Sommer tun ihm gut. Deutschland mit seinen kalkhaltigen Böden hat noch ein großes Potenzial für diese Rebsorte. Bei der Überlegung, ob man mediterrane Rebsorten bei uns anpflanzen sollte, ist zwischen den längeren Hitzeperioden auf der einen und der Sonnenintensität auf der anderen Seite zu unterscheiden, die hier trotz allem niemals die Werte des Mittelmeerraums erreichen werden.

Beim Weißwein gehört unser Herz dem Chardonnay, der die großen Weine von Montrachet, Corton-Charlemagne, Meursault und auch Chablis hervorbringt. Aber der hier heimische (und beinahe dominante) Weißburgunder ist für uns eine echte Entdeckung. Er hat zu Recht hier seinen Platz gefunden. Er besitzt die gleiche Komplexität wie der Chardonnay, vielleicht sogar mehr Frucht als dieser, aber etwas weniger Säure. Das könnte bei steigenden Temperaturen allerdings zum Problem werden. Chardonnay verträgt die Wärme besser. Er behält die wichtige Weinsäure, die dem Wein Struktur und Balance bringt.

PR: Warum schmeckt euer Pinot Noir nicht wie andere badische Rotweine?

AG und CW: Das muss man eher die anderen Winzer fragen. Wir arbeiten mit den gleichen Trauben. Wir begleiten die Reben durch das Jahr. Wir achten darauf, dass es ihnen gut geht. Mit sparsamer, aber regelmäßiger Bodenarbeit und möglichst wenig Intervention. Wir begnügen uns mit geringem Ertrag. Wir ernten, wenn die Trauben reif sind. Im Keller geht es darum, die Balance zu wahren. Der Wein entwickelt sich von alleine, er gärt spontan und reift. Eine zweite, die malolaktische Gärung kommt mit der Zeit, ebenfalls spontan. Aber es gilt, jeden Schritt zu beobachten, um nicht den richtigen Augenblick zu verpassen, um zu intervenieren, wenn etwas schiefzugehen droht. Die Lagerung im (gebrauchten) Holzfass gibt dem Wein weitere Tannine und einen sanften Austausch mit Sauerstoff. Es geht vor allem darum, zu beobachten, was geschieht. Da kommt es auf das Fingerspitzengefühl an. Wer nur auf Technik setzt, alles perfektionieren und kontrollieren will, wird dem Wein seine Persönlichkeit rauben und einer Standardisierung preisgeben. Glücklicherweise gibt es in Baden viele Winzer, die umdenken und neue (oder alte?) Wege gehen.

PR: Warum macht ihr keinen Rosé?

AG und CW: Weil wir ihn nur wenig trinken. Aber auch wir haben einen saisonalen Wein, der die Frucht in den Mittelpunkt stellt, der sich jung und unkompliziert trinken lässt. Wir nannten ihn zunächst Baden Nouveau, in Anlehnung an den Beaujolais, weil wir dieselbe Maischung wie dort, die macération carbonique, vornehmen. Er heißt jetzt Baden Grand Ordinaire, wir lassen ihn fünf Monate im Holz reifen, was ihm mehr Ausdruck und Struktur gibt, ohne ihm die Frucht zu nehmen.

PR: „Macht die Frau ein Donnerwetter, trink‘ ein Viertel Ehrenstetter“, lautete früher ein Slogan, der sich vornehmlich an ältere und männliche Trinker wandte. Euer Wein aus Ehrenstetten wird auch von jungen Frauen geschätzt. 

AG und CW: Ja, gerade junge Frauen wissen zunehmend filigrane und natürliche Rot- und Weißweine zu schätzen, die nicht künstlich alkoholisiert werden und deren Frucht nicht durch neues Holz überlagert ist. Sie sind bekömmlicher und bieten ganz neue Geschmackserlebnisse.

Titelbild: Alexander Götze und Christoph Wolber illustriert von Sarah von der Heide.