“Geniale Dilettanten”

Kreativdirektor Thomas Elsner im Interview

„Am Anfang war der Punk“, sagt Thomas Elsner. Alles, was vorher da gewesen war, ob David Bowie oder Rolling Stones, sei plötzlich irrelevant gewesen. Der Punk habe alles freigetreten, es reichten drei Akkorde, spielen können musste man auch nicht und ein Stück musste nicht länger als zwei Minuten lang sein. Punk war ein riesen Kuddelmuddel. Es waren „geniale Dilettanten“. In dieser Zeit wurde Elsner als Kreativdirektor groß. Ob als Verleger eines Indie-Magazins, ob als Kreativdirektor bei Condé Nast, Strenesse und Schiesser, es gibt kaum einen Winkel der Medien- und Modewelt, in dem Elsner sich nicht umgeschaut hat. Vom Ende der Achtziger bis in die frühen 2000er war Elsner Kreativdirektor der Marke Strenesse. Er holte Jürgen Teller zu Strenesse, durchlebte die Heroin-Chic- und die Supermodel-Ära der 90er. Und ließ sie hinter sich. Er war beim Aufstieg der Marke Strenesse dabei, in den goldenen, ertragreichen Jahren – und begleitet die Designerin Gabriele Strehle als Freund und Berater durch das bittere Ende dieser Ära. Ein Interview über Ikonen, Frauenbilder, Strenesse und Metallica.

Achtung: Du hast in den 80ern zusammen mit Michael Reinboth und Christian Wegner das Magazin „Elaste“ veröffentlicht. 15 großformatige Ausgaben lang habt ihr ein gesamtes Magazin dem Sound der frühen 80er gewidmet: „Elaste“ war New Wave, Elektrokraut, Reggae, Coldwave. „Elaste“ war Punk. Dann gingst du Condé Nast. Nicht so Punk. Nachdem du das zweite Magazin für den Verlag entworfen hattest, soll dich der damalige Herausgeber in sein Büro gebeten haben, das Magazin auf den Boden geworfen und darauf herumgetreten haben. Dabei soll er gesagt haben: „This is the biggest piece of shit I’ve ever seen in my life.” Du bist trotzdem bei Condé Nast geblieben. Wie macht man danach weiter?

Thomas Elsner: Um genau zu sein, handelte es sich um die dritte Ausgabe von Miss Vogue vom September 1988, auf die ich besonders stolz war. Die Reaktion des Herausgebers erschien mir dermaßen absurd, dass sie mich kaum berührte. Ich empfand das Heft mit seiner vielfältigen Mischung als gelungen: Es enthielt einen Bericht über DJ-Culture von Thomas Huetlin, eine dekadent-romantische Fotostrecke mit College-Mode, fotografiert von Michael Roberts (Fashion & Style Director von Tatler, später tätig für Vogue UK und Vanity Fair). Zusätzlich gab es eine Fotoproduktion über Label Queens vom jungen österreichischen Fotografen Günter Parth sowie eine Street-Style-Geschichte aus London, fotografiert von Norman Watson (dem Sohn der Fotografen-Legende Albert Watson). In der Geschichte wurde eine fiktive Straßengang gezeigt, mit Caps, Jogginghosen, schwarzen Jeans, bedruckten T-Shirts, Bomber- und Lederjacken von Diesel, Adidas, Levis und Katharine Hamnett, ergänzt durch Ray-Ban-Brillen und Dr.-Martens-Schuhe. Und sogar ein Feature über den Barbie-Boom. Ehrlich gesagt klingt das immer noch ziemlich zeitgemäß. Damals hatte ich die junge, selbstständige, urbane Frau als Leserin im Kopf, während unser Herausgeber wahrscheinlich eher an das verwöhnte und betuchte Töchterchen aus München Grünwald dachte…

Photographed by Michael Roberts Watson for Miss Vogue 88

Photographed by Norman Watson for Miss Vogue 88

A: Die Modefotografien, die du damals mit Strenesse umgesetzt hast, hast du einmal als “grobkörnig, schwarz, zugekleistert” beschrieben. Offensichtlich hattest du auch hier nicht das betuchte Töchterchen aus München Grünwald im Blick, es scheint nicht mal, als wäre es dir darum gegangen, das Produkt in den Vordergrund zu stellen. Was war dann das Ziel?

TE: Nun, diese spezielle Optik war eher der Technik geschuldet, insbesondere dem grobkörnigen, oft gepushten Schwarz-Weiß-Film wie dem Kodak Tri-X, der es ermöglichte, auch bei schlechten Lichtverhältnissen schnell zu arbeiten. Natürlich stand die Mode immer im Mittelpunkt. Jedoch eher als Ausdruck der Persönlichkeit. Uns ging es darum, eine bestimmte Haltung, Authentizität und ein spezielles Lebensgefühl zu vermitteln, anstatt nur Kleidungsstücke zu präsentieren. Durch die harte Technik erlangten die Bilder eine ikonische Qualität.

A: Die Strenesse-Fotostrecken mit Jürgen Teller aus den 90ern sind in einer goldenen Ära der Mode entstanden. Andere beschreiben diese Zeit als eine, in der alles möglich schien – neu und aufregend und provokant. Wie hast du diese Zeit damals erlebt?

TE: Mit Jürgen Teller trat der zeitgenössische Aspekt stärker in die Welt von Strenesse ein. Zuvor hatten wir bereits mit großartigen Fotografen wie Jacques Olivar und Ellen von Unwerth zusammengearbeitet, aber mit Teller wurde die Illusion zur Realität. Es schien, als sei die Mode ‚model’s own‘. Diese Zeit war geprägt von den Supermodels. Ich liebte die neue Generation von Fotografen, die sich im Umfeld von The Face und i-D Magazine formierte. Also brachte ich beide Welten zusammen und kombinierte sie mit den zeitlos eleganten Looks von Gabriele Strehle, die wunderschön geschneidert waren und interessante Silhouetten hatten. Später arbeiteten wir auch mit Fotografen wie Craig McDean, Glen Luchford, David Sims und Mario Sorrenti zusammen. Alle diese Fotografen präsentierten uns neue Perspektiven, indem sie Realität und Imagination verschmolzen und einen neuen Lebensstil schufen. Diese Ära endete leider im Heroin Chic, bei Kokainpartys und in einem verzerrten Frauenbild.

Linda Evangelista by Juergen Teller FW 1995-96 

A: Für welches Lebensgefühl steht dann die aktuelle Mode-Ära?

TE: Die Modefotografie von heute vermittelt ein anderes, sehr breites Spektrum an Lebensgefühlen, das von der Suche nach Identität und Selbstausdruck bis hin zu fantastischen oder imaginären Welten sowie Gender und sozialen Themen reicht. Persönlich finde ich nach wie vor Jürgen Teller großartig, aber es gibt auch viele andere interessante Fotografen. Beispielsweise Tyler Mitchell, Paul Kooiker, Tim Walker, Julia Noni, Rafael Pavarotti, Harley Weir, Tyrone Lebon, Viviane Sassen und viele mehr.

A: Als du Gabriele Strehle das erste Mal trafst – für ein geschäftliches Meeting – trugst du ein Punk-T-Shirt. Von welcher Band?

TE: Es war eigentlich kein Punk-Shirt, sondern eines mit dem ‘Snaggletooth’-Logo von Motörhead, das ich in London gekauft hatte. 1988 war die Ära des Punk und Wave längst vorbei. Und damit auch die Welle der für mich relevanten Musik aus dieser Zeit. Mit dem Auftauchen von Guns N’ Roses kam wieder neue Energie in die späten 80er und ich begann mich für Bands wie Metallica, Anthrax, Slayer, The Cult ganz besonders auch Motörhead zu interessieren. Gleichzeitig entwickelte sich der Hip-Hop mit Acts wie den Beastie Boys, Run-D.M.C. und Public Enemy. Das war auch der Sound, den ich immer in der Redaktion von Miss Vogue hörte. Ich dachte mir, wenn ich einen Termin mit einer jungen Modemarke habe, warum sollte ich mich dann extra umziehen? Entweder sie verstehen meinen ästhetischen Kosmos und meinen künstlerischen Stil oder es passt sowieso nicht zusammen. Gabriele Strehle engagierte mich, und es begann eine fast zwei Jahrzehnte währende fruchtbare Zusammenarbeit. Danke, Gabriele!

Gabriele Strehle and Thomas Elsner

Christy Turlington by Juergen Teller for SS 1995