Fashion People 2024: Hussein Chalayan

Der Designer über seine Professur, Berlin und die eigene Kreativität

ACHTUNG: Worauf konzentrieren Sie sich, wenn Sie mit Student:innen arbeiten? Was ist Ihre Herangehensweise?

Hussein Chalayan: Ich verfolge einen Mentoring-Ansatz und führe die Student:innen dazu, ihre eigene Stimmen zu entdecken, anstatt sie nach meinen ästhetischen Vorstellungen auszurichten. Mir ist wichtig, ihnen zu helfen, die beste Version ihrer selbst zu werden, ohne ihnen meinen Stil aufzuzwingen. Es gab in der Vergangenheit viele Professor:innen, die versucht haben, Student:innen nach ihrem eigenen Geschmack, in ihr eigenes Bild zu formen. Ich glaube nicht, dass das richtig ist.

A: Was hat Sie das „Lehren“ gelehrt?

HC: Empathie ist entscheidend im Umgang mit jungen Menschen. Wenn man keine Empathie hat, sollte man es lieber gleich sein lassen. Viele junge Menschen fühlen sich entfremdet, ausgeschlossen oder belastet. Viele Student:innen möchten über solche Dinge sprechen, darauf muss man vorbereitet sein. Wir leben in schwierigen Zeiten. Ich unterstütze ihre emotionalen Bedürfnisse, während ich sie in ihrer Designarbeit anleite. Das ist manchmal fast ein bisschen wie Sozialarbeit. Aber ich habe gelernt, dass das Lehren heutzutage emotional anspruchsvoll sein kann.

A: Und welche Bereicherung bietet Ihnen die Arbeit mit Student:innen?

HC: Es bereitet mir Freude, das Wachstum eines:einer Studierenden zu beobachten und zu wissen, dass ich dazu beigetragen habe. Das ist besonders schön, wenn sich dadurch eine gegenseitige Zufriedenheit ergibt. Also nicht nur ich, sondern auch die Student:innen dies als Bereicherung ansehen. 

A: Was hat Sie eigent­lich nach Berlin geführt?

HC: Ich war zuvor fünf Jahre Professor an der Angewandten in Wien. Meine Freundin Zaha Hadid hat dort gelehrt und mich ermutigt, es auch einmal zu probieren. Irgendwann sprach mich die HTW an. Ich kannte Grit Seymour, die hier ebenfalls in Berlin lehrt, da wir zusammen am Saint Martins studiert haben. Und es gab einen großen Vorteil gegenüber Wien: eine Festanstellung. Das fühlte sich für mich sicherer an. 

A: Ihre Einschätzung der Modeszene in Berlin?

HC: Berlin ist ein sehr guter Ort, um zu wachsen. Und ich schätze den koope­rativen Geist unter den Designer:innen in Berlin, das ist nicht überall so. Auch liegt die Mode- und Kunstszene näher beieinander als in anderen Städten, was es spannend macht.  

A: Glauben Sie, dass die Vergänglichkeit der Mode ein Nachteil oder ein Vorteil im Designprozess ist?

HC: In gewissem Sinne ist die Vergänglichkeit der Mode ein großartiger Katalysator für Innovation. Sie produ­ziert durch ihren ständigen Wandel immer wieder neue Ideen. Andererseits kann sie zu verantwortungslosem Konsum, einem Kreislauf der Wegwerfmentalität führen, der schädlich ist. Ich selbst bin ein Verfechter davon, weniger zu kaufen und die Dinge länger zu nutzen. 

A: Was empfehlen Sie jungen Designer:innen heute?

HC: Erstens, geht Risken ein. Zweitens, nehmt euch selbst nicht zu ernst, eure eigene Arbeit aber sehr wohl. Drittens, umgebt euch mit Menschen, die anders sind als ihr selbst, um zu wachsen. Viertens, geht raus, probiert euch aus, macht eure eigenen, einzigartigen Erfahrungen, fordert andere und euch selbst heraus. Ich sollte ein T-Shirt damit machen. 

A: Was meinen Sie mit Risiko ein­gehen?

HC: Wenn man keine Risiken eingeht, wächst man nicht. Viele Menschen haben heute Angst, Risiken einzugehen, denn in den sozialen Medien wird man sicherer, weil man gemocht werden will, und um gemocht zu werden, muss man innerhalb gewisser Grenzen schwimmen. Und das hemmt. Genau das hemmt das Eingehen von Risiken. Und letztendlich die Kreativität.

A: Und was treibt Ihre eigene Kreativität an?

HC: Im Grunde genommen bin ich einfach begeistert von Ideen. Als Künstler wie als Modedesigner. Wenn ich eine Idee habe, die zuerst unmöglich erscheint, ist es dieser Prozess, der mich motiviert. Ich bin besessen davon, es umzusetzen. Meine Arbeit erforscht oft kulturelle und sehr persönliche Themen, die zunächst nur mich beschäftigen, doch stets die Hoffnung tragen, dass sie auch andere bewegen. Es könnte sein, dass manche diese vielleicht sogar nicht mögen. Aber zumindest hat es sie dann berührt. Ich glaube, dass die emotionale Tiefe hinter einem Projekt das Wichtigste ist. Und diese andere ansprechen kann, selbst wenn sie das Thema zunächst nicht verstehen. Wie bei einem guten Liebeslied.
—Nicole Urbschat

Hussein Chalayan, Fashion Designer and Professor at HTW Berlin photographed by Lukas Städler in Berlin exclusively for ACHTUNG 48