Charlotte hat den Stall gewechselt

Reklame 03: Chanel hat ein neues Gesicht

Charlotte Casiraghi, in Monaco, in Chanel. Die neue Spring-Summer-Kampagne aus der Rue Cambon klingt, erst mal, wie ein perfekter Drei-Klang.

Aber Casiraghi ist eine Frau mit Vergangenheit. 2012 war sie noch „Gucci’s New Girl“, wie die britische Vogue damals titelte. Ein hübscher Scoop für die Italiener war das, schließlich hatte sich die begehrte 25-Jährige vorher für keine andere Marke einspannen lassen. Und die Verbindung machte ja total Sinn: Gucci hatte schon die Jahre zuvor die Uniformen der passionierten Springreiterin entworfen. Außerdem trug ihre berühmte Großmutter Grace Kelly bekanntlich ebenfalls Gucci. Die Trensenmarke und die schöne Monegassin, das war quasi ein ‚Match made in Pedigree-Heaven’.

Aber ein paar Peter-Lindbergh-Fotos und Beauty-Kampagnen später war die Liaison wieder vorbei. Casiraghi verliebte sich, wurde Mutter, trennte sich, verliebte sich erneut, wurde noch mal Mutter, heiratete und trug bei der Hochzeit mit dem Filmproduzenten Dimitri Rassam vor knapp zwei Jahren kein Gucci, sondern Giambattista Valli, Saint Laurent und: Chanel.

Mancher in der Branche wollte schon da das Glockenläuten gehört haben für die nächste Verbindung, aber erst diesen Januar wurde es offiziell: Charlotte Casiraghi hat den Stall gewechselt und ist nun Botschafterin von Chanel. Das ist ungefähr so wie ein Wechsel von Real Madrid zum FC Barcelona unter Fußballern, ein ziemlich seltener Mega-Transfer. Aber genau betrachtet ergibt diese Liaison natürlich noch viel mehr Sinn als die Trensen-Nummer.

Das fängt schon bei den Initialen an. Charlotte Casiraghi – CC – sic! Vor allem sind die Familienbande hier noch ein bisschen stärker. Mutter Caroline war die Lagerfeld-Muse schlechthin, die ihr wie aus dem Gesicht geschnittene Tochter tritt nun die maßgeschneiderte Thronfolge an. Klingt pathetisch? Na sicher! Für die Hola!s, Galas und Paris Matches dieser Welt kann es ja gar nicht kitschig genug zugehen. Hier geht es um feinsten Prinzessinnen-Stoff für ansonsten irre unromantische Zeiten.

Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin fotografieren Charlotte Casiraghi in Monaco für Chanel.

Nun ist also die erste Kampagne erschienen. Fotografiert von, klar, Inez und Vinoodh, in – noch klarer – Monaco. Und jetzt stellt sich die erste kleine Ernüchterung ein. Denn die Fotos sind trotz dieser umwerfenden Frau nicht ganz so atemberaubend wie erwartet. Die Storyidee lautet: Ihr Leben in Monaco abbilden, im Wechsel von Tag und Nacht, Traum und Wirklichkeit. Das Ergebnis sieht allerdings ziemlich reell aus. Die „mystische Charlotte“, wie sie vom Fotografen-Duo beschrieben wird, wirkt im Gegenteil eher eine Spur demystifiziert, bisweilen fast deplatziert in der Szenerie. Vor allem die beiden Fotos, in denen die 34-Jährige ganz rechts im Bild vor Pool und Skyline zu sehen ist, erinnern an gestellte Urlaubsfotos. Der Blick wirkt angestrengt, eben genau so, wie wenn der Reisebegleiter sagt: „Stell dich doch da mal kurz hin.“

Zufall oder Absicht? So schön Casiraghi sein mag, sie ist kein Model, und womöglich ist das sogar die viel bessere Botschaft. Virginie Viard scheint ja insgesamt entschlossen, Chanel ein bisschen zugänglicher zu machen. Eine Monegassin ist mitnichten das Mädchen von nebenan, aber dass sie nicht ultra-perfekt auf den Bildern rüberkommt, könnte ein schlauer Zug sein.

Und Casiraghi wurde ja nicht nur als Botschafterin sondern auch als „Spokesperson“ von Chanel eingekauft, eine Rolle, die ihr deutlich mehr zu liegen scheint. In einem Video aus der Reihe „Les Rendez-Vous Littéraires“ spricht sie über ihre Leidenschaft für Bücher. Die Frau liest Rilke! Baudelaire! Und sie kann sogar ausgesprochen gut darüber reden! So verwunderlich ist das allerdings nicht, Casiraghi hat an der Sorbonne Philosophie studiert, 2018 veröffentlichte sie mit ihrem Professor das Buch „Archipel der Leidenschaften.“ Wer braucht schon ein perfektes Foto-Face, wenn er dafür Grips hat.

Auch deshalb ergibt dieser Transfer am Ende so viel mehr Sinn: Caroline und Charlotte, Coco und Virginie – allesamt starke Frauen, die sich weder von Männern, noch von der Welt sagen ließen, was sich gehört und was nicht, die äußerst diskret, aber nie verhalten ihren Weg gingen. Das Frauenbild passt bei Chanel also deutlich besser. Oder sollte man sagen: Es passte unter Frida Giannini immerhin ein bisschen, aber so gut die Kollektionen von Alessandro Michele für Gucci bisweilen sein mögen – in den meisten Sachen kann man sich Casiraghi nur schwer vorstellen. Alles in allem: rechtzeitig umgesattelt.