Bombardement der Sinne

Fantastisch überbordende Entwürfe – ein Highlight der Mercedes Benz Fashion Week

Maike Inga in Tom van der Borght

Die Jury beim vergangenen Festival von Hyères war von Tom van der Borghts fantastisch überbordenden Entwürfen so weggeblasen, dass sie ihm gleich den Hauptpreis dafür verliehen. Nun zeigt der Belgier seine neue Kollektion auf der Mercedes Benz Fashion Week Berlin, die vom 18. bis 20. Januar digital stattfindet. Was man von ihm erwarten kann? Definitiv keine normale Show.

Wenn Ihre Mutter gefragt wird, was ihr Sohn macht, antwortet sie angeblich: „Er ist Modedesigner – aber kein normaler Modedesigner!“ Was will sie damit sagen?

Manchmal sagt sie auch: „Er ist Künstler, der sich mit Kleidung ausdrückt.“ Sie will glaube ich betonen, dass es bei mir nicht um ganz alltägliche Mode geht, solche, die man auf der Straße sieht, sondern meine Arbeit noch eine andere Dimension hat.

Wie würden Sie selbst es denn beschreiben?

Ich bin 44, ich weiß schon, dass alles ein Label haben muss und gern in Schubladen gesteckt wird, aber ich mag dieses simple Zurechtlegen eigentlich nicht. Ja, ich mache Kleidung, aber auch Videos und Bilder und Performances und Objekte, und manchmal mache ich auch Kleider, die eher Objekte sind, meine Videos werden zum Backdrop meiner Shows. Ich bezeichne mich selbst weder als Designer noch als Künstler, Visual Artist oder Performancemaker, weil ich mich gar nicht nur in nur eine Richtung limitieren will.

Tom van der Borgth Illustration

Tom van der Borght Porträt. Illustration: Sarah von der Heide.

Feli Rasztar in bunter TOM VAN DER BORGHT Leggings; Jacke von OTTOLINGER; Cap von DOROTHEE SCHUMACHER.

Dann versuchen wir es mal: Auf Ihrer Internetseite wird Ihre Philosophie als „Bombardement of the senses“ beschrieben, und tatsächlich sieht es bei Ihren sehr bunten, taktilen, handwerklich intensiven Entwürfen so aus, als wollten Sie die Sinne der Menschen mit Ihrer Kreativität regelrecht bombardieren, stimulieren, herausfordern. Ihre Form des Optimismus in diesen seltsamen Zeiten?  

Es ist ein bisschen komplizierter als das. Meine Liebe zur Mode kommt sicher auch daher, dass diese Kunstform ziemlich gut den Jetzt-Zustand abbildet und vielleicht die einzige Disziplin ist, die so schnell auf die Gegenwart reagieren kann. Mit jeder neuen Saison kann man fühlen, worum es in der Welt gerade geht. Und wenn man etwas über das Leben in der Vergangenheit erfahren will, muss man eigentlich nur zurückblicken, wie sich die Leute in einer bestimmten Zeit gekleidet haben. Aber meine Kollektionen sind auch immer eine Reflektion meines eigenen Lebens. Es mischen sich also kleine persönliche Details mit Dingen, die in der großen Welt geschehen und daraus ergeben sich viele verschiedene Layer. Wenn Sie meine Sachen aus der Nähe betrachten, sind dort auch Elemente sichtbar, die nicht unbedingt optimistisch sind oder nur dieses „happy happy feeling“ transportieren.

In der Jurybegründung von Jonathan Anderson hieß es, sie bewunderten Ihre total neue Form, neue Silhouette, die kompromisslose Umsetzung. Ihre Mode sei der perfekte Start in eine neue Dekade, weil sie so neu, in jeder Hinsicht originell sei – und es nicht in erster Linie um kommerziellen Appeal, sondern um den Wert von Schönheit und Handwerk gehe. Die meisten Entwürfe trugen bunte, igelhafte Stacheln. Ein über und über bestickter Pullover hat hinten die Aufschrift: „I’m not a monster.“ Ist das eher biografisch oder gesellschaftlich gemeint?

Ich will es nicht „Selbsttherapie“ nennen, aber natürlich verarbeite ich in den Sachen meine Erfahrungen mit dieser Welt. Schon als Junge hatte ich es nicht immer leicht, mit bestimmten Dingen klarzukommen, deshalb habe ich schnell gelernt, wie wichtig ist, sich eine positive Perspektive zu behalten. Als Mensch hat man immer die freie Wahl, etwas von der guten oder schlechten Seite zu sehen. Meine Hyères-Kollektion war interessanterweise die Folge einer eher schwierigen persönlichen Etappe. Für mich war es fast eine Auferstehung, ein Gegenangriff: „Hier bin ich! Du kannst mich so nehmen wie ich bin oder es sein lassen!“ Wenn meine Mode nun als „uplifting“ und optimistisch rüberkommt, ist das wundervoll.

Maike Inga zeigt künstlerischen TOM VAN DER BORGHT Kopfschmuck.

Tom van der Borgth Maike Inga

Hose mit Nieten, Kleid und Jacke von TOM VAN DER BORGHT.

Auch wenn Sie dort eine „Männerkollektion“ präsentierten, ist Ihre Mode eher genderless, non-binary, nicht an ein bestimmtes Genre gebunden. Auch Labels wie JW Anderson, Gucci oder Harris Reed gehen mehr und mehr in diese Richtung. Wann fing das bei Ihnen an?

Das geht sicher auf meine Kindheit zurück. Ich bin in einem kleinen belgischen Ort groß geworden, sehr flämisch, sehr klassisch alles. Ich dagegen war schwul, sehr kreativ, absolut unsportlich, wegen einer muskulären Krankheit, wie sich später herausstellte. Ich passte also schon als Kind nirgendwo richtig hinein und hatte immer den Ruf, „special“ zu sein. Nicht nur unter Gleichaltrigen, sondern auch bei Lehrern und Erwachsenen. Ich erinnere mich, dass mich das lange irritiert hat, weil ich mich selbst ja total normal fühlte. Ich wollte ständig schreien: „Ich bin nicht anders!“ Mit 19 hatte ich mein Coming-out, aber selbst danach fühlte ich mich nicht wirklich zugehörig, da fing für mich die Idee von Intersexualität an, die ich extrem wichtig finde: Wir reden immer von Männer vs. Frauen, weiß vs. wchwarz, dünn vs. dick. Mich dagegen interessiert viel mehr der „mixed point of view“: Wie ist das, eine dicke schwarze Frau zu sein? Was, wenn du ein schwuler Behinderter bist, der in einem islamischen Land lebt? Das war für mich immer die spannendere Perspektive, weil es bei mir ja ganz ähnlich ist: Ich bin schwul, obendrein habe ich eine leichte körperliche Behinderung, mein Körper degeneriert zunehmend, aber ich sitze nicht im Rollstuhl, bin also gewissermaßen nicht behindert genug, um offensichtlich Teil dieser Gruppe zu sein. Es gibt für viele Menschen nicht die eine Box. Wahrscheinlich kommt mein Bestreben, nicht nur eine Schublade anzusprechen, sondern ganz viele, daher. Vielleicht ist das meine Message.

Die Gewinner von Hyères werden traditionell in das Fashion Talents Programm von Mercedes Benz aufgenommen, damit sie ihre Kollektionen auf internationalen Fashion Weeks zeigen können, so wie Sie jetzt in Berlin. Wie werden Sie Ihre Kollektion präsentieren?

Allzu viel kann ich natürlich nicht verraten. Wir haben schon im Dezember erfahren, dass Berlin diesmal nur digital stattfinden wird, ohne Live Shows. Aber ich sehe das nicht als Nachteil, Krisen sind immer der beste Moment für Weiterentwicklung. Ich finde es interessant, dass die meisten Leute in der Mode nur darauf zu warten scheinen, endlich zurück zur Normalität zu kommen – obwohl die doch das Vergangene repräsentiert. In der Geschichte sind wir aber eigentlich nie zurückgegangen, alles, was uns herausfordert, pusht uns zum nächsten Level. Digitale Präsentationen können eine richtige Geschichte erzählen, mehr in die Tiefe gehen, die Leute können von zu Hause zuschauen, und zwar alle – nicht nur die paar Vips und Modeleute. Das ist fast ein Akt der Demokratie. Ich will das Publikum sowieso nicht nur als Käufer, sondern in erster Linie als Zuschauer sehen, denen ich mehr als nur ein Produkt anbieten kann. Das ist mein Spirit für die Präsentation in Berlin, deshalb haben wir dafür bewusst den Begriff der Performance statt der einer Fashion Show gewählt. Es wird also definitiv keine normale Show werden, und alles feiern, was sich jenseits der gesellschaftlichen Norm bewegt.

Tom gewann mit seinen überbordend fantastischen Entwürfen in Hyères. Jetzt ist Berlin dran. 18 Uhr Livestream seiner Seance auf mbfw.berlin nach dem Achtung Schwarzwald Screening um 17.30 Uhr.