Alles Odeeh!

The way forward for German fashion?

Odeeh Mode
odeeh designer duo

Jörg Ehrlich und Otto Drögsler fotografiert von Arnaud Pyvka am 2. März 2019 in Paris.

Germany is good at industrial fashion success stories. Or better: It was good at it with names like Gerry Weber, S.Oliver or Tom Tailor.

All in trouble now. Germany has never been good at dealing with independent boutique labels like Odeeh. Working out of a village in Bavaria, designers Otto Drögsler and Jörg Ehrlich set the template for a new way of doing things. Top quality, no outlet center production. And maybe that’s the way forward for German fashion?

Wer als Designer sein Leben auf einem verwunschenen Gutshof mitten in einem 5.000-Seelen-Dorf in der fränkischen Provinz verbringt, um in einem schmucklosen ehemaligen Flachbau-Supermarkt mit Neonlicht und Behördenteppichen beseelte Kreationen zu entwerfen, muss wohl im Herzen hoffnungsloser Romantiker oder knallharter Realist sein. Oder im besten Falle beides. Wie Otto Drögsler und Jörg Ehrlich, die kongeniale Doppelspitze des deutschen Labels Odeeh. Deren Mode ist mal mutig, eklektisch, zuweilen auch formell und streng und damit von jener wertvollen Gattung der Mode, welche die emotionale Geste, den genialen Befreiungsschlag trotz Zweckmäßigkeit nicht scheut. Mode als kleidsame Antithese zum übertechnisierten Alltag sozusagen. Und für deren Inszenierung es wohl keine bessere Kulisse geben mag als jenen Ort ihres kreativen Geschehens: Giebelstadt.

sign model odeeh

Opulenter Minimalismus

Chinesische Pagoden, Hawaii-Reminiszen und späte Muster des italienischen Designers Gio Ponti aus den 50er Jahren gab es da zu sehen, gekonnt gepaart mit zurückhaltenden Streifenlooks und lässigen Safari-Cargo-Hosen, so dass gar nicht erst der Eindruck entstehen konnte, dass man sich in diesen Kreationen wie eine tragbare Fototapete fühlen würde. „Opulenten Minimalismus“ nennen das die beiden, bei dem sich perfekte Silhouetten von kühnen Stoff- und Farbexperimenten abheben. Und dessen Konzept es wohl ist, Dinge einfach zuzulassen, nicht zu streng zu sein – egal, ob der erste Blick einem nahelegt, dass hier aber irgendetwas nicht zusammenpassen kann. Und so strahlen ihre Kollektionen ein harmonisches Durcheinander aus, das trotz lauter Muster und Farben nicht in Hysterie verfällt und dessen Macher sich angenehm von der Branche abheben. Vielleicht gerade weil sie fernab der Modestädte entsteht. Vielleicht aber auch, weil Drögsler und Ehrlich schon aufgrund ihres Alters über viel mehr Gelassenheit verfügen als die meisten ihrer Kollegen. Sie haben die Lehrjahre genutzt, die manche Designer mit dem mühesamen Aufbau ihres eigenen Labels verbringen, sich sukzessive ein feines Netzwerk aus Manufakturen und kleinen Produktionsstätten aufzubauen. Und sie haben sich Wissen angeeignet – und zwar so viel, dass sie sich einfach zurücknehmen und ihre Kleider wirken lassen.

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Gemustertes Seidenkleid mit Faltendetails aus der Saison Fall/Winter 2018/19, dazu ein drapierter Wollhut.

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Gemustertes Baumwoll-Seiden-Hemdkleid aus der Saison Spring/Summer 2019, darunter “BLA BLA” Mesh-Shirt.

2008 haben sie Odeeh gegründet.

Da hatten beide schon 20 Jahre Mode-Business mit Stationen bei Escada, Rena Lange und René Lezard hinter sich. Odeeh war ihr persönlicher Befreiungsschlag, um sich nicht mehr hinter einer Marke zu verstecken, sondern wie Ehrlich es formuliert: „zeigen zu müssen, wer man ganz tief drinnen ist.“ Ihre erste Idee damals: alles aus Jersey zu machen. Dem praktischen und bequemen Jersey haftet zwar etwas Gediegenes an, doch überlegt man sich nur einmal, was die moderne, mobile Frau an Garderobe benötigt, rückt das den unsexy Stoff doch gleich in ein ganz anderes Licht. Ein unschätzbarer Bonus, Mode, die sich unkompliziert in jedes Handgepäck quetschen lässt – und dennoch sinnlich und meisterhaft verarbeitet ist. Mittlerweile haben sie die Kollektion erweitert. Sie spielen mit unterschiedlichen Stoffen wie Seide und Kaschmir, denn es ist ihnen vor allem wichtig, sich in ihrem Design nicht bestimmten Gesetzen zu unterwerfen.

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Look aus dem Odeeh-Archiv.

Nicht mehr Mode nach Zielgruppen, sondern nach Gefühl, das sollte Odeeh sein.

Ein kreatives Anliegen, keine ausgetüftelten Komplettlooks, „bei denen man schon bei Look 2 weiß, wie Look 40 aussehen wird“, wie Ehrlich sagt. „Das wollten wir nicht mehr. Wir wollten das Unvorhersehbare. Das Unerwartete, das Spontane.“ Schlichte, zugleich raffinierte Kleider und eklektische Blusen-Rock- Kombinationen. Keine Kollektion die dogmatisch daher kommt, sondern „eine Art High-End-Freestyle“, wie Drögsler es beschreibt. Übrigens auch einer der Gründe, warum in ihrem Atelier absolutes Moodboard-Verbot herrscht, bedingen diese doch, dass irgendwann nur noch ein Konzept abgearbeitet wird. „Bilder machen die Geschichte häufig leichter, sie machen sie aber nicht unbedingt einzigartiger“, wie die Designer erklären. So wenig wie sie sich in ihrer Arbeit – und sei es nur durch ein imaginäres Bild im Kopf – etwas diktieren lassen wollen, möchten sie auch der Frau, die sie ankleiden, irgendwelche Vorschriften machen. „Wir halten nichts davon, zu sagen: Kombinier’ mal Schwarz-Weiß mit Blümchen. Wir wollen eine Auseinandersetzung“, beschreibt Ehrlich ihre Auffassung vom eigenen Stil. Und sagt, dass er es irgendwie nicht verstehen kann, dass eine ganze Branche auf einmal so davon verunsichert ist, weil das Denken in Saisons, Trends, Key-Looks und It-Pieces plötzlich nicht mehr stimmt. „Wir alle haben jahrelang gepredigt, sei Du selbst, sei individuell und nun ist da draußen eine Frau, die genau das macht. Das ist doch toll.“

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Gepatchtes Seiden-Duchesse Kleid im Empire-Stil aus der Saison Fall/Winter 2012/13, dazu Samtstrümpfe von Simone Wild.

Erst auf den zweiten Blick gehört alles eindeutig zu Odeeh.

Ein Grund, warum Drögsler und Ehrlich von Anfang an eher in Einzelteilen als in Looks gedacht haben. „Jedes unserer Teile hat eine starke Präsenz“, sagt Drögsler. Was auch daher rührt, dass er jeden Mantel, jedes Kleid, jede Bluse für sich zeichnet und diese somit auch für sich alleine Bestand haben müssen. Produziert werden ihre Kollektionen in Deutschland, auf kurzem Wege, weil es „bei so vielen Einzelteilen wichtig ist, ein Auge darauf zu haben.“ Die perfekte handwerkliche Präzision ist ihnen ebenso wichtig wie die kreative Freiheit. Drögsler ist der kreative Entwerfer im Team, man könnte auch sagen, der Künstler. Ehrlich ist Spezialist in der Schnittführung, denkt konzeptionell, kalkuliert die Kollektion. Zugelassen wird beides. „Bewusst lassen wir an vielen Stellen Ottos und meine Vorstellung nebeneinander wirken“, erklärt Ehrlich, „wir haben die gleiche Vision für Odeeh, nur setzen wir diese unterschiedlich um.“ Überhaupt wollen sie sich nicht auf eine DNA festlegen lassen, sich lieber die Freiheit nehmen, Odeeh immer wieder radikal zu verändern. So überraschten sie im letzten Herbst-Winter auf einmal – anstatt mit den von ihnen bekannten und erwartbaren weiten, umspielenden Linien – mit einer leidenschaftlich femininen Silhouette. Eigentlich paradox. Denn während die Designer früher versuchten, neue Ausdrucksformen der Weiblichkeit zu finden, kehrten sie mit Herzchen-Mustern und eng geschnittenen Pencil- Skirts zu dem zurück, was sie eigentlich loswerden wollten. „Wir haben keine Angst vor Klischees“, beschreibt Drögsler ihren modischen Argumentum e Contrario und sagt, dass genau das doch die neu gefundene Feminität ausmachen würde, sich nicht mehr daraus befreien zu müssen.

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Look aus dem Odeeh Archive. 

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Goldene Lamé Bluse aus der Saison Spring/Summer 2017.

Sie scheuen weder Tradition noch Moderne.

Vielleicht sind die beiden deswegen auch genau das richtige Gespann für die Wiederbelebung von Europas ältester Porzellan-Manufaktur Meissen. Vor zwei Jahren wurden sie mit der kreativen Leitung des geschichtsträchtigen Hauses betraut. „Wir wollen die Opulenz, die Meissen geprägt hat, in ein neues Licht rücken“, erklärt Ehrlich ihre Mission. Und so verpassen sie barocken Tanz- und Tierfiguren ein psychedelisches Regenbogen- oder Zebramuster-Update oder verzieren Wandteller statt mit nostalgischen Streublumen mit markant gezeichneten Party-People-Porträts, die allesamt beim Betrachter ein gänzlich unvernünftiges Habenwollen provozieren. Von einer kompletten Durch-Ästhetisierung des Alltags halten die beiden trotzdem nichts. „Geschirr sollte gewisse klassische Regularien erfüllen. Wir mögen runde, keine viereckigen Teller“, sagt Drögsler. Das ist wie bei der Mode. Sie soll beeindrucken, auffallen, Freude bereiten. Aber sie muss eben auch das Heute aushalten. Das heißt: unkompliziert und flexibel bleiben. Eine „gute Mischung aus Prosa und Reportage“ nennt Ehrlich diesen Ansatz. „Wir sind realistisch genug, um zu wissen, dass das, was wir tun, funktionieren muss, aber jedes Produkt, ob für Odeeh oder Meissen, braucht einen magischen Moment.“ Und so beweisen Otto Drögsler und Jörg Ehrlich, dass Luxus heute zwar unvernünftiger, emotionaler, einzigartiger sein muss, dass aber Regeln und Präzision, richtig angewendet, die Grundlage von Exzentrik sein können. Und dass Deutschsein im Design eben nicht bedeuten muss, gradlinig und schlicht zu sein, sondern dass man als romantische Realisten, wie sie es sind, der nüchternen Gegenwart und ihren Zwängen etwas entgegenzusetzen hat.

FOTOGRAFIE & MODEREDAKTION: Jörg Ehrlich und Otto Drögsler

Dank an Tim Sonntag (Fotografie) und Tobias Graf (Moderedaktion)

MODEL: Eliza Petersen (SMC Model Management)

Fotografiert am 10. Dezember 2018 in Giebelstadt.

Dieser Artikel erschien erstmalig in Achtung Mode Nr. 37 (März 2019).