ACHTUNG Nr. 46 ”Wir erben die Welt“

Lena Hardt in Wedding Tower Print Dress AKRIS F/W 2011; Shoes AEYDE. Joël Nzisabira Total Look GUCCI. Maike Inga in Top and Skirt SAINT LAURENT; Gloves DEL CORE.

Wenn Mode und UNESCO Weltkulturerbe zusammentreffen

Was hat man ihr nicht schon alles angedichtet. Identität soll sie stiften, die Erbmasse der Zivilgesellschaft sei sie, ihre DNA. Nur durch Kultur würde der Mensch über sich selbst nachdenken, erst durch Kultur würden wir zu menschlichen, rational handelnden Wesen werden. Wenn uns die Kultur dann erst mal befähigt hat, ist sie manch einem:r zu elitär, anderen zu liberal, manchen nicht national genug (Stichwort: Leitkultur), wieder anderen zu ernst oder aber zu sehr U, sprich Unterhaltung, also unreflektierter Zeitvertreib. Der Kulturbegriff, so scheint es, ist wie eine Art „Pudding, den man nicht an die Wand nageln kann“ – um mal bei einer der eher weniger Hochkultur-fähigen Redewendungen zu bleiben. 

Vielleicht hilft da ein Blick in die Statuten der UNESCO, die ja bekanntlich so etwas wie die Hüterin des kulturellen Erbes ist. Kultur heißt es da, „…kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen, geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.“ So die Erklärung der UNESCO zur Weltkonferenz der Kulturpolitik in Mexiko-City (1982). Und was gilt da nicht alles als Kulturgut: Bierkultur in Belgien – nicht Deutschland wohlgemerkt!, der Karneval in Venedig, koreanisches Kimchi genauso wie die antike Stadt Pompeji oder die Chinesische Mauer. Da verwundert es bei dieser Vielfalt doch irgendwie, dass die Mode als Kulturgut es immer noch so schwer hat. Und das vor allem in Deutschland. Als ACHTUNG 2003 gegründet wurde, ging es genau darum, Mode ernst zu nehmen. Und mit ihr, was Modejournalismus eigentlich ausmacht: gut geschriebene, oft auch kritische Texte von Leuten, die ein wahres Archiv im Kopf haben und das Gesehene in Kontext setzen. Und Modefotografie mit deutschsprachigen Fotograf:innen, Stylist:innen und Models. Nie ging es darum, große Namen auf das Cover zu schreiben. Bis heute ist jedes Bild bei ACHTUNG selbst produziert. Eine deutsche Vogue beispielsweise war bis vor Kurzem stets sehr wenig deutsch. Die Fotograf:innen dort aus Italien, England. „In Deutschland sagt man lieber:‚Du, ich fliege nächste Woche nach New York‘ als ‚Ich fahre nach Essen zum Shooting in den Zeche Zollverein‘,“ so hat ACHTUNG-Gründer Markus Ebner das mal zusammengefasst. 

Cardigan VIVIENNE WESTWOOD VIA VESTIAIRE COLLECTIVE; Dress HERVÉ LÉGER VIA VESTIAIRE COLLECTIVE; Shoes AEYDE

Vest CLAUDE MONTANA VIA LILO FRAKFURT

Cardigan YVES SAINT LAURENT VIA VESTIAIRE COLLECTIVE; Shorts STYLIST’S OWN

Das Anliegen von ACHTUNG war immer, die deutsche Modelandschaft abzubilden, eine Modezeitschrift zu machen, die hier ihre Wurzeln hat und sich diese bewahrt. Womit wir wieder bei der UNESCO wären. Deren Welterbe-Konvention, also eine Art Schutzinstrument für herausragende kulturelle Güter, seien sie nun in Stein gemeißelt oder in Form von Rumba tanzbar, feierte im letzten Jahr 50-jähriges Bestehen. 1972 verabschiedete die Staatengemeinschaft das Übereinkommen zum Schutz des Natur- und Kulturerbes der Welt. Anstoß war damals übrigens der Bau des ägyptischen Assuan-Staudamms in den 1960er Jahren, der den Tempel von Abu Simbel bedrohte. Um zu verhindern, dass der Felsentempel überflutet wurde, rief die UNESCO eine bis dahin beispiellose Hilfsaktion ins Leben, um das antike Monument zu versetzen. Heute gibt es rund 1.157 UNESCO Welterbestätten in 167 Ländern. Die Liste der immateriellen Kulturgüter umfasst aktuell 648 Einträge aus 140 Ländern. Was zeigt, die Auflistung ist ähnlich dehnbar wie der Pudding-Begriff am Anfang dieses Textes. Deutschland ist momentan mit 51 Weltkulturerbestätten und 144 Formen gelebter Kultur im Rennen.

Und da wir von ACHTUNG eben schon immer lieber in der Zeche Zollverein in Essen fotografiert haben als im Studio in New York, haben wir uns zu unserem 20-jährigen Jubiläum jene deutsche Weltkulturerbestätten als Hintergrund auserkoren, an denen sich besonders gut der Geist der ACHTUNG abbilden lässt: Mode oder Kultur gleichzeitig als gesellschaftlich relevant anzuerkennen, aber dabei die elegante Leichtigkeit nicht zu verlieren. Und eine Lebenswirklichkeit abzubilden. So finden sich in dieser unserer Jubiläumsausgabe Models auf Klassenfahrt durch die Museumsinsel streifend, ACHTUNG-Hausmodel Maike Inga in Baden-Baden Klavier spielend oder die auf der Straße gecasteten Jungs aus dem Film Sonne und Beton auf der Parkbank fläzend. Denn werden Kulturstätten nur zu Bestenlisten und Tourismussiegeln, stirbt ihr Geist und der Ort verkommt als Präparat. Auch die Ansicht darüber, wie und was es zu bewahren gilt, unterliegt einem stetigen Wandel. Wer die Kultur nur als etwas Bewahrendes begreift, verfehlt das Konzept. Er:sie verfehlt das Lebendige, ständig Schöpferische, dass doch erst den Kern des Kulturellen ausmacht. So wie auch die Mode sich ständig bewegt. 

Jacket BRUNELLO CUCINELLI; Top and boxers CHRISTOPH RUMPF; Pants KENZO; Shoes DSQUARED2

Top, Culotte and tights MIU MIU; Sunglasses BALENCIAGA; Bag CORMIO

Eliza: Dress AKRIS; Cap CARHARTT WIP; Shoes CAMPER. Young: Jacket, cap and backpack C.P. COMPANY. Edda: Shirt MCM; Pants AKRIS. Cosima: Sweater POLO RALPH LAUREN; Skirt COACH; Bag DIESEL; Shoes MAISON KITSUSÉ. Tim: Vest LIBERAL YOUTH MINISTRY; Sweater and pants FENDI; Shoes PAUL SMITH

Blouse and skirt BALENCIAGA

Mimi: Dress GAUCHERE; Bracelet SAINT LAURENT BY ANTHONY VACCARELLO. Maike: Dress LOEWE; Necklace CHARLOTTE CHESNAIS; Glasses GUCCI

Transformationen machen Kulturen aus. Für das Zeitgenössische fehlen oft die Bilder und Begriffe. Auch bei der UNESCO. Und in der aktuellen (Leit-)Kulturdebatte. Dabei reicht ein Blick auf jene Weltkulturerbestätten dieser Ausgabe. Sie alle entstanden aus dem Wunsch nach Evolution, nach Wandel, nach einer Neuordnung. Die Gründer der Mathildenhöhe wollten die Utopie einer Künstlerkolonie mit kühner Architektur leben, die Erbauer der Siemensstadt dem Neuen Bauen als Gegenentwurf zur Kaiserzeit eine klare, funktionalistische Form geben.

Und dieMuseumsinsel entstand, als ein preußischer König mit der Zeit, sprich der Französischen Revolution, ging und fürstliche Schatzkammern und Sammlungen für die Allgemeinheit öffnete. Da passt es, dass unsere Kolumne Im Augenblick sich in dieser Ausgabe um die New Kids off the block dreht, jene unabhängigen Designer:innen, von denen wir denken, dass sie zwischen den großen Luxushäusern eine Zukunft haben und wir mit der Fotografin Laura Schäffer einen neuen Namen mit wachem Auge im ACHTUNG-Universe begrüßen. Soll niemand sagen, dass sich nichts bewegt!

Wer Kultur verändern will, darf sich nicht mit Staunen begnügen.

Total look DIOR MEN

Jacket and pants HOMME PLISSÉ ISSEY MIYAKE; Sweater MASSIMO ALBA

Enrique: Jacket AMI; Denim jacket and pants BRIONI; Necklace SASKIA DIEZ. Sam: Total look PRADA. Levy: Jacket, pants and shoes DOLCE & GABBANA; Necklace SASKIA DIEZ

Dress ASHI STUDIO

Dress and shoes KHAITE