Niemals geht man so ganz. Oder mit elf Supermodels.

Reklame 13: Donatella Versace macht weiter für sich Werbung

Großartige Szene kurz vor der ersten Dior-Show von Jonathan Anderson vergangene Woche: Roger Federer, topgelaunt, setzt sich neben Donatella Versace und fragt, wie es so geht. Donatella, elegant im schwarzen Kostüm, gibt lächelnd zu verstehen: Ziemlich gut, danke. Und du so, Roger? „Good. Retired, you know. Are you also retired?“ Boom, voll daneben gegangen der Return. So etwas kann man wahrscheinlich nur als Profisportler fragen, der zumindest diese Karriere irgendwann zwangsweise an den Nagel hängen muss. Donatella lacht also kurz auf und antwortet dann charmant, aber mit erhobenem Zeigefinger: „No. I left Versace, but I am NOT retired.“

Merke, Roger und die ganze Welt: Vom Ruhestand dürfte Donatella Versace so weit entfernt sein wie ein paar andere Designer:innen vor der Neueinstellung. Jemand wie sie geht niemals so ganz. Die 70-Jährige wird der Marke weiterhin als „Chief Brand Ambassador“ (aka Edel-Aushängeschild) zur Verfügung stehen und auch abseits davon eine Rolle in der Modewelt spielen. Vielleicht sind Anna Wintour und Donatella Versace die letzten wirklichen Trademark-Ikonen der Branche.

Aber ja, Dario Vitale kommt von MiuMiu, sie verlässt den Designerposten nach 27 Jahren und sagt zum (halben) Abschied ganz laut ciao. Genauer: Mit elf Supermodels in der Kampagne für Fall-Winter, die heute erscheint, und ihre letzte Kollektion für das Haus markiert. Kate! Claudia! Kristen! Amber! Natasha! Saskia! Liu! Mica! Anok! Mila! Jaqui! Kein zufälliges Casting versteht sich. Alle gehören zur großen Best-of-Versace-Familie. Claudia Schiffer modelte das erste Mal 1984 für die Brand, fotografiert von Richard Avedon. Kate Moss stand zusammen mit Caroline Murphy und Carmen Kass 2007 vor der Kamera von Mario Testino.

Claudia Schiffer und Nadja Auermann für Versace, fotografiert 1984 von Richard Avedon

Kate Moss, Caroline Murphy und Carmen Kass für Versace, fotografiert 2007 von Mario Testino

Kate Moss in der Versace Herbst/Winter 2026 Kampagne

Claudia Schiffer in der Versace Herbst/Winter 2026 Kampagne

Aber eigentlich ist es Kristen McMenamy, die das interessanteste Verhältnis zu Versace hat. Sie war Anfang der Neunziger das Gesicht von vier Kampagnen hintereinander gewesen. Doch für die nächste wurde sie „gecancelt“, genauso wie der Fotograf Juergen Teller. „I was devastated […]”, erinnerte sie sich später in einem Interview. „Versace at that point was… that was it. If you’re with Versace you’re in, you’re on top; if you get cancelled you’re a loser, it’s over.” Daraufhin folgte 1996 die bis heute legendäre Fotostrecke für das SZ Magazin, die sich dem Thema Mode und Moral widmen sollte. Teller fotografierte Kristen McMenamy mit einem mit Lippenstift gemalten „Versace” auf der Brust, umrandet von einem Herz. Punk, Pose, Poesie, das Foto steht bis heute für den modischen Zeitgeist der Neunziger, obwohl McMenamy kein Stück Stoff am Leib trug.

Kristen McMenamy fotografiert von Juergen Teller für das SZ Magazin

Donatella Versace war damals bekanntlich noch nicht für die Marke verantwortlich, sondern ihr Bruder Gianni, der 1997 starb. Seine kleine Schwester mag starke, sexy, rebellische Frauen, wie sie selbst eine ist. McMenamy eröffnete nicht nur die Laufstegshow für Versace by Fendi 2022, sie war auch in der Kampagne zu sehen, und lief im Februar in der letzten Show.

Kristen McMenamy eröffnet die Versace by Fendi Show in 2022

Die Kampagne ist – wie zum Abschluss nicht anders zu erwarten – typisch Donatella Versace, typisch Mert & Marcus. Was ihr Bruder mit Avedon, Meisel und Weber anfing und sie damals am Set als Art Direktorin beobachtete, setzte sie mit dem Fotografen Duo zumindest ansatzweise fort, weil Mert & Marcus im neuen Millenium nun mal die visuelle Sprache von Modekampagnen diktieren. Die einen sagen ein etwas affektierter, viel zu retuschierter Look, die anderen schwärmen von der klaren Referenz zu klassischen Modebildern und der „larger than life”-Ästhetik, die Frauen ungefähr so stark aussehen lässt, wie Donatella Versace blond ist.

So oder so kann man gar nicht genug hinschauen. Denn zumindest diese Optik dürfte demnächst ganz sicher in den Ruhestand wandern.