Depesche der Mode

Claudia Skoda öffnet ihre Türen

Claudia Skodas Leben rauscht an einem vorbei. Fast wie einer diese bunt-schillernden Amazon-Serien, die man heutzutage aufsaugt, um sich zumindest ein bisschen außergewöhnliches Leben, exzessive Erfahrungen – credibility – in das saubere Berlin-Start-up-Dasein zu holen. Schauplatz bei Strickdesignerin Skoda: die Kreuzberger Künstlerkommune fabrikneu, für welche nicht nur der Künstler Martin Kippenberger 1976 einen 12-Meter-Laufsteg aus Fotocollagen fertigt, sondern in der Iggy Pop auf der Suche nach Drogen selbst die Antibabypillen aus dem Badezimmerschrank auffuttert. Überhaupt, Skoda und die Stars. Sie kleidet David Bowie für sein Video Ashes to Ashes mit einer schwarzen Nietenstrickhose ein, nimmt, unterstützt von Kraftwerk, eine Platte mit Namen Die Dominas auf, ihre gute Freundin Jenny Capitain ist Model und Muse für Helmut Newton (ja, die Berühmte mit dem Gipsbein). Ihre ersten Modeschauen: Multimedia-Ereignisse mit Musik, Bildender Kunst, Rauminszenierungen und illustren Gästen. Im legendären New Yorker Club Danceteria veranstaltet sie Berlin Nights, lässt dafür den blutjungen DJ Fetisch einfliegen.

Glam, Punk, Techno, Kunst – aus diesen Zutaten schuf Skoda ihre ganz eigene Version von Mode in Strick. Das wohl beste Sinnbild für so viel avantgardistische Popkultur: ein Foto. Martin Kippenberger hat es von ihr gemacht. 1976 oder 1977 im U-Bahnhof Kottbusser Tor. Auf ihm sieht man Skoda im Tunnel stehend, in der Hand hält sie ein blitzendes Instrument, eine Strickmaschine. Mit strengem Blick, glatter Gelfrisur, im Männerjackett und hoch- hackigen Stiefeletten – selbstbestimmt, stolz, sexuell selbstbewusst.

Im Atelier von Claudia Skoda

Oft vergessen bei so viel Subkultur-Attraktion, Skoda webt und strickt den Verve ihrer Umgebung nicht nur in ihre Entwürfe ein, sondern erschafft auch einen bis dahin nicht vorhandenen spielerischen Umgang mit dem Medium Strick. Vertieft sich in das Strickhandwerk, ins Forschen an Garnen, Techniken, Formen. Lässt ihre sexy-schimmernden, fast psychedelischen Kleider so modern wirken, indem sie Wolle mit Lurex kombiniert. Revolutionär in einer Zeit, in der Stricken eher mit Öko und harmlosen Hippiepullovern in Verbindung gebracht wurde. Skoda flickt Tonbänder aus Musikkassetten in ihre Kleider ein, schreibt die Programme für ihre Strickmaschinen auf einer Atari-Computerkonsole selbst und experimentiert immer wieder mit wild geometrischen Mustern. Lange von der Modepresse ignoriert, ist Claudia Skoda seit 50 Jahren eine der wichtigsten Figuren der Berliner Designerszene. ACHTUNG traf die Revoluzzerin des Stricks anlässlich ihrer Ausstellung im Kulturforum zum Gespräch über den West-Berliner Underground, Strick-Schlaghosen, Wolfgang Joop und Filzen als Therapie.

Nicole Urbschat: Frau Skoda, seit Anfang der 70er-Jahre gelten Sie als Ikone des Strickdesigns. Wie sind Sie eigentlich zum Stricken gekommen?

Claudia Skoda: Ganz einfach, ich habe mir eine Strickmaschine gekauft und losgelegt. Ich wollte ja nur etwas für mich machen, an eine eigene Kollektion dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Eigentlich arbeitete ich als Lektorin bei einem literaturwissenschaftlichen Verlag.

NU: Sie haben keine Ausbildung auf diesem Gebiet gemacht? Wer hat Ihnen das Stricken beigebracht?

CS: „Learning by doing.“ Ich bin Autodidaktin, außerdem hätte mir sowieso kein Mensch zeigen können, was ich machen wollte.

NU: Sie meinen diese hauchdünnen, fast spin- nenweben-artigen, glitzernden Strickteile, die Sie Anfang der 70er fertigten. Pure provokante Sinnlichkeit.

CS: Als provokant habe ich das nicht empfunden. Das war mein eigenes Lebensgefühl, eine eigene Darstellung von dem, wie eine Frau aussehen könnte. Und danach habe ich mich gerichtet.

NU: Aber sinnliche Mode war bei den Feminis- tinnen der 68er doch eher verpönt.

CS: Mit denen hatte ich nie ein Problem. Ich war keine Aktivistin, aber ich war immer politisch interessiert und in meinem Umfeld waren viele, die politisch aktiv waren. Ich hatte Ulrike Meinhofs Zwillinge zu Hause, wenn sie auf eine Demo ging. Letztendlich ging es uns um eine Freiheit, das zu machen, was wir wollten. Feste Strukturen aufbrechen. Anti eben.

ACHTUNG besuchte Claudia Skoda im September 2021

NU: Warum ausgerechnet Strick, warum nicht Konfektion – hätte Ihnen das nicht mehr Möglichkeiten gegeben?

CS: Möglich, aber ich komme aus einer Schneiderfamilie, mein Vater und Großvater waren beide Schneidermeister und hatten eine Maßschneiderei und mehrere eigene Geschäfte, ich wusste genau, wie kompliziert und aufwendig die Schneiderei ist – das war absolut nicht mein Ding.

NU: Schnell haben Sie für Freunde aus der West-Berliner Kunstszene Modelle entworfen, erinnern Sie sich noch an eines für Ihre ersten Kunden?

CS: Das waren die jungen, progressiven Schauspieler um Peter Handke vom Forum Theater am Kurfürstendamm. Die liebten meine Strick-Schlaghosen für Männer.

NU: Welche Rolle spielte Mode eigentlich damals in Berlin?

CS: Was heißt Mode? Damals gab es gar keine Mode in Berlin. Es gab C&A. Manchmal fuhr jemand nach London und brachte etwas mit. Aber die jungen Rebellen der Kulturszene wie der Handke, die wollten sich absondern, ein Zeichen setzen.

NU: 1972 haben Sie Ihren Job als Lektorin aufgegeben und sich ganz der Mode gewidmet.

CS: Die ganze Sache lief enorm gut und hat großen Spaß gemacht, es war damals auch einfacher, da es diesen ganzen Überfluss nicht gab. Ich habe einfach 500 Teile produziert, bin nach München zu den Olympischen Spielen und habe sie dort verkauft. Ein Jahr später wollte ich mein Glück in Saint Tropez und Cannes versuchen, bin aber irgendwie auf Ibiza gelandet und habe dort spontan meine erste Show gezeigt. Dort habe ich dann auch Martin Kippenberger getroffen.

NU: Wie würden Sie eigentlich die 70er-Jahre in West-Berlin beschreiben?

CS: Großartig. ’68 hatte alles verändert. Es war die Zeit des Aufbruchs und des Ausprobierens. Wir hatten gerade die Künstlerkommune fabrikneu gegründet, Iggy Pop und David Bowie waren in die Stadt gekommen und wohnten bei uns. Alles war in Bewegung, es passierte was – die jungen Wilden, Kippenberger, und natürlich Punk.

NU: Außerdem haben Sie in Filmen von Ulrike Ottinger mitgespielt, haben mit dem Elektropionier Manuel Göttsching eine Platte aufgenommen, die deutsche Band Malaria! eingekleidet und waren an diversen anderen Projekten beteiligt. Eine ganze Menge – wie haben Sie das alles geschafft?

CS: Um das Geschäftliche kümmerte sich mein Mann, der mich von Anfang an unterstützt hat, dann gab es da noch die Kommune – man war nie allein. Es war ein komplett anderes Lebensgefühl als heute, das Leben war viel einfacher und auch preiswerter, Geld spielte nie eine Rolle, Neues auszuprobieren stand im Vordergrund.

NU: Wie haben Sie eigentlich Ihre Modelle realisiert – hatten Sie damals ein eigenes Atelier oder haben Sie produzieren lassen?

CS: Ich hatte ein großes Team von Heimstrickerinnen, die für mich arbeiteten, anders wäre das gar nicht möglich gewesen.

NU: Zehn Jahre später, 1982, haben Sie Berlin dann den Rücken gekehrt, sind nach New York gezogen und haben dort einen eigenen Laden in SoHo eröffnet. Waren Sie Berlin- müde?

CS: Es war David Bowie, der mich überredete, nach Amerika zu gehen, er erkannte das Potenzial meiner Sachen und das des amerikanischen Markts. Die Neugierde und die Lust, sich weiterzuentwickeln, war einfach größer, als in Berlin zu bleiben.

NU: Hatten Sie damals Erfahrungen mit dem amerikanischen Markt?

CS: Das New Yorker Luxuskaufhaus Henri Bendel war mal an der Kollektion interessiert, sie wollten nur ein Modell, das allerdings gleich 200-mal – doch ich habe mich geweigert, weil ich fand, dass eine Strickjacke die Kollektion nicht ausreichend repräsentiert hätte.

NU: Zwischen Berlin und New York gab es in den 80ern eine fast magische Beziehung – die Hälfte der Kunstszene, Ihre Freunde und Bekannten – Malaria! und die Einstürzen- den Neubauten waren dort alle schon gefeierte Stars, als Sie ankamen. Wie hat man in New York auf Sie reagiert?

CS: Natürlich war das etwas blauäugig. Anfangs kamen die Leute, fanden meine Mode super, kauften sie aber nicht, weil sie den Namen nicht kannten. Als ein paar der damals neuen Szene-Magazine wie Details und Paper über den Laden und mich berichtet hatten, lief es besser. In Amerika geht es in erster Linie um PR und Marketing, nicht um Kreativität.

NU: Können Sie uns ein paar Ihrer New Yorker Kunden verraten? Da gab es doch sicher einige illustre Zeitzeugen.

CS: An die Kunden kann ich mich nicht mehr erinnern, aber Marc Jacobs und Michael Kors waren ständig im Laden. Marc Jacobs kam eines Tages und zeigte mir einen simplen, schwarzen Pullover, auf dessen Front ein großer, gelber Smiley zu sehen war – fast kindisch – für ihn war es sein Durchbruch.

NU: Wie waren Ihre Tage in New York?

CS: Es war die Zeit der Clubs – Danceteria, Limelight, Palladium, Pyramid – wir sind mit Leuten wie Alan Vega von Suicide, Patti Smith oder den Ramones um den Block gezogen, haben uns mit Freunden im CBGBs oder Basquiats getroffen. Eine aufregende Zeit. Alles passierte irgendwie nachts.

NU: Trotzdem haben Sie nach vier Jahren Ihre Zelte in New York abgebrochen und sich wieder ganz auf Berlin konzentriert.

CS: Als Berlin 1988 Kulturhauptstadt Europas wurde, hatte ich den Auftrag vom Senat, die Eröffnungsgala zu gestalten. Ich hatte einen Fünfjahresvertrag für unseren Laden in SoHo und der Vermieter wollte auf einmal doppelt so viel Miete haben. Da dachte ich, machen wir erst einmal zu, die Show in Berlin und sehen weiter. Als die Mauer kurz darauf fiel, war das der Grund für mich, in Berlin zu bleiben.

NU: Hat die Zeit in New York etwas bewegt in Ihnen?

CS: Ja schon. Erst in New York habe ich erfahren, was ich wirklich kann und wo ich als Designerin stehe. New York hat mir mein Talent gezeigt.

NU: Sie haben die Strickmode revolutioniert, trotzdem hat es nie zum großen Erfolg à la Sander oder Joop gereicht. Hat Sie das nie geärgert?

CS: Nein, mir war auch nicht am Mainstream gelegen, selbst in New York nicht – ich wollte Kunst mit der Mode verbinden und ganz andere Sachen machen – der Business-Aspekt hat mich nie wirklich interessiert. Ich weiß, wie große Designer arbeiten. Ich wollte meine Freiheit behalten.

NU: Auch nicht, dass Sie von den deutschen Modemedien negiert wurden?

CS: Ich kann mich nicht beschweren, aber es ging immer um meine Person und nie um meine Mode. Das fand ich immer ein bisschen ungerecht. Als ich 1992 meinen von Marc Newson entworfenen Laden auf dem Kurfürstendamm eröffnet habe, wurde das von der deutschen Modepresse komplett ignoriert. Das war mir unverständlich.

NU: Noch einmal zurück zu Joop, der für Sie eine sehr persönliche 14-seitige Hommage in dem Katalog zu Ihrer Ausstellung Dressed to thrill verfasst hat. Was verbindet Sie beide?

CS: Wolfgang kam das erste Mal zu mir auf die Messe in Düsseldorf und wollte mich kennen- lernen. Uns war gleich klar, wir sind ein Duo. Ich bin auf seiner ersten Show 1982 als Mann verkleidet gelaufen, er bei mir 1988 beim Dressater im Hamburger Bahnhof. Wir konnten einfach ein bisschen spielen, weil man sich gut kannte, sich mochte. Und weil wir damals nicht wussten, wie man das wird, was wir wurden: Designer. Auch heute noch sind wir gute Freunde.

NU: Definieren Sie sich selbst eher als Künstlerin oder als Designerin?

CS: Als Designerin. Ich wollte immer Mode machen und Frauen gut aussehen lassen, die Weiblichkeit unterstreichen – ich war nie an konzeptionellem Fummel interessiert. 

NU: Aber an Konzepten. In Ihren Shows in den 80ern ging es immer um mehr als nur die Mode.

CS: Grundsätzlich war die Mode der Anlass. Um andere Wege zu gehen, haben wir aber andere Künste und Medien hinzugefügt. Als Booster sozusagen. Es ging um eine freiere Form der Präsentation. Wir wollten stimulieren. Das war unser Antrieb. Wenn die Leute sich nicht für ein einzelnes Kleid begeistern konnten, dann zumindest für die Show. Und vielleicht dadurch auch irgendwann für die Mode.

NU: Was treibt Sie nach 50 Jahren Mode noch an?

CS: Mein Spaß an der Arbeit, meine Kreativität und mein Wunsch, die Dinge neu zu machen und Grenzen zu verlegen. Durch die Pandemie und die dadurch neu gewonnene Zeit habe ich meine Arbeit wieder neu entdeckt. Ich experimentiere mehr.

NU: Woran arbeiten Sie gerade?

CS: Ich mache meine Motive aus Filz. Etwas, was ich vorher noch nicht so gesehen habe, dass man in die Pullover reinfilzt. Das ist sehr aufwendig und dauert lange. Aber eine schöne Beschäftigung. Andere malen am Abend, ich filze meine Bilder. Ich bin vielleicht nicht reich und berühmt, aber ich habe die absolute Freiheit, das zu tun, worauf ich Lust habe. Das ist doch irgendwie ein schöner Gedanke, oder nicht?

Claudia Skoda fotografiert von Gregor Hohenberg in ihrem Atelier in Berlin-Mitte im September 2021.

Alle Outfits CLAUDIA SKODA

Fotos: Gregor Hohenberg

Model: Sayuri | Let It Go Management

Styling: Jessica Klimach | collectiveinterest

Haare und Make-Up: Maria Ehrlich| collectiveinterest

Fotografiert im September 2021 in Berlin-Mitte

This interview appeared first in ACHTUNG Nr. 42 (Fall/Winter 2021).